Katechismus der Katholischen Kirche /
Dritter Teil: Das Leben In Christus
Erster Abschnitt - Die Berufung Des Menschen: Das Leben Im Heiligen Geist
1699 Das Leben im Heiligen Geist vollendet die Berufung des Menschen
(erstes Kapitel). Es besteht in der Liebe zu Gott und in der Solidarität
mit den Menschen (zweites Kapitel). Es wird zu unserem Heil aus Gnade
geschenkt (drittes Kapitel).
Erstes Kapitel - Die Würde Des Menschen
1700 Die Würde des Menschen wurzelt in seiner Erschaffung nach Gottes
Bild und Ähnlichkeit (Artikel 1); sie kommt in seiner Berufung zur Seligkeit
Gottes zur Vollendung (Artikel 2). Aufgabe des Menschen ist es, in Freiheit
auf diese Vollendung zuzugehen (Artikel 3). Durch seine bewußten Handlungen
(Artikel 4) richtet sich der Mensch nach dem von Gott versprochenen und
durch sein Gewissen bezeugten Guten aus oder wendet sich dagegen (Artikel
5). Der Mensch leistet einen eigenen Beitrag zu seinem inneren Wachstum;
er macht sein ganzes Sinnes- und Geistesleben zum Mittel dieses Wachstums
(Artikel 6). Mit Hilfe der Gnade wächst er in der Tugend (Artikel 7),
meidet die Sünde und gibt sich, wenn er dennoch sündigt, wie der verlorene
Sohn‘ dem Erbarmen des himmlischen Vaters anheim (Artikel 8). So gelangt
er zur vollkommenen Liebe.
Artikel 1
Der Mensch: Gottes Ebenbild
1701 „Christus ... macht in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters
und seiner Liebe dem Menschen sein eigenes Wesen voll kund und erschließt
ihm seine höchste Berufung" (GS 22,1). In Christus, dem „Ebenbild
des unsichtbaren Gottes" (Kol 1,15) [Vgl. 2 Kor 4,4], wurde der Mensch
nach dem „Bilde" des Schöpfers, „ihm ähnlich" erschaffen. In
Christus, dem Erlöser und Retter, wurde das durch die Ursünde entstellte
göttliche Abbild im Menschen in seiner ursprünglichen Schönheit wiederhergestellt
und durch die Gnade Gottes veredelt [Vgl. GS 22,2].
1702 Das Bild Gottes ist in jedem Menschen gegenwärtig. Es wird in der
Gemeinschaft der Menschen, die der Einheit der göttlichen Personen gleicht
[Vgl das zweite Kapitel], sichtbar.
1703 Weil er eine „geistige und unsterbliche Seele" besitzt (GS
14), ist „der Mensch ... auf Erden das einzige Geschöpf ... das Gott um
seiner selbst willen gewollt hat" (GS 24,3). Schon von seiner Empfängnis
an ist er für die ewige Seligkeit bestimmt.
1704 Der Mensch hat am Licht und an der Kraft des göttlichen Geistes
teil. Durch seine Vernunft ist er fähig, die vom Schöpfer in die Dinge
hineingelegte Ordnung zu verstehen. Durch seinen Willen ist er imstande,
auf sein wahres Heil zuzugehen. Er findet seine Vollendung in der „Suche
und Liebe des Wahren und Guten" (GS 15,2).
1705 Dank seiner Seele und seiner geistigen Verstandes- und Willenskraft
ist der Mensch mit Freiheit begabt, die „ein erhabenes Kennzeichen des
göttlichen Bildes im Menschen" ist (GS 17).
1706 Durch seine Vernunft vernimmt der Mensch die Stimme Gottes, die
ihn drängt, „das Gute zu lieben und zu tun und das Böse zu meiden"
(GS 16). Jeder Mensch ist zum Gehorsam gegenüber diesem Gesetz verpflichtet,
das im Gewissen ertönt und in der Liebe zu Gott und zum Nächsten erfüllt
wird. Im sittlichen Handeln zeigt sich die Würde des Menschen.
1707 Der Mensch hat „auf Anraten des Bösen gleich von Anfang der Geschichte
an seine Freiheit mißbraucht" (GS 13, 1). Er ist der Versuchung erlegen
und hat das Böse getan. Zwar verlangt er immer noch nach dem Guten, aber
seine Natur ist durch die Erbsünde verwundet. Er neigt zum Bösen und ist
dem Irrtum unterworfen.
„So ist der Mensch in sich selbst zwiespältig. Deshalb stellt sich
das ganze Leben der Menschen, das einzelne wie das kollektive, als Kampf
dar, und zwar als ein dramatischer, zwischen Gut und Böse, zwischen
Licht und Finsternis" (GS 13,2).
1708 Christus hat uns durch sein Leiden vom Satan und von der Sünde befreit.
Er hat für uns das neue Leben im Heiligen Geist verdient. Seine Gnade
stellt wieder her, was die Sünde in uns verdorben hat.
1709 Wer an Christus glaubt, wird Kind Gottes. Diese Annahme an Kindes
Statt gestaltet den Menschen um und läßt ihn dem Vorbild Christi folgen.
Sie befähigt ihn, richtig zu handeln und das Gute zu tun. In Vereinigung
mit seinem Erlöser gelangt der Jünger zur Vollkommenheit der Liebe, zur
Heiligkeit. Das sittliche Leben, in der Gnade gereift, weitet sich in
der Herrlichkeit des Himmels zum ewigen Leben.
Kurztexte
1710 Christus macht dem Menschen sein eigenes Wesen voll kund und erschließt
ihm seine höchste Berufung (GS 22 1).
1711 Der Mensch ist, schon von seiner Empfängnis an auf Gott hingeordnet
und zur ewigen Seligkeit bestimmt weil er mit einer geistigen Seele mit
Vernunft und Willen begabt ist. Er erstrebt seine Vollendung in der Suche
und Liebe des Wahren und Guten (GS 15 2).
1712 Die wahre Freiheit ist „ein erhabenes Kennzeichen des göttlichen
Bildes im Menschen" (GS 17).
1713 Der Mensch ist verpflichtet dem natürlichen Sittengesetz zu gehorchen
das ihn anhält das Gute zu lieben und zu tun und das Böse zu meiden"
(GS 16). Dieses Gesetz ertönt in seinem Gewissen.
1714 Der in seiner Natur durch die Erbsünde verwundete Mensch ist dem
Irrtum unterworfen und in der Ausübung seiner Freiheit zum Bösen geneigt.
1715 Wer an Christus glaubt hat das neue Leben im Heiligen Geist. Das
in der Gnade gewachsene und gereifte sittliche Leben soll sich in der
Herrlichkeit des Himmels vollenden
Artikel 2
Unsere Berufung Zur Seligkeit
I. Die Seligpreisungen
1716 Die Seligpreisungen stehen im Herzen der Predigt Jesu. Sie nehmen
die Verheißungen wieder auf, die dem auserwählten Volk seit Abraham gemacht
wurden. Die Seligpreisungen vollenden die Verheißungen, indem sie diese
nicht mehr bloß auf den Besitz eines Landes, sondern auf das Himmelreich
ausrichten:
Selig, die arm sind im Geiste; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
Selig, die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden
satt werden.
Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.
Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen
gehört das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und
auf alle mögliche Weise verleumdet werdet.
Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein. (Mt 5,3-12)
1717 Die Seligpreisungen spiegeln das Antlitz Jesu Christi und seine
Liebe. Sie zeigen die Berufung der Gläubigen, in die Herrlichkeit seines
Leidens und seiner Auferstehung mit hineingenommen zu werden; sie heben
die Taten und Haltungen hervor, die das christliche Leben kennzeichnen;
sie sind überraschende Verheißungen, die in Bedrängnissen die Hoffnung
stärken; sie künden die Segnungen und Belohnungen an, welche die Jünger
insgeheim schon besitzen; im Leben der Jungfrau Maria und aller Heiligen
sind sie schon eröffnet.
II. Die Sehnsucht Nach Glück
1718 Die Seligpreisungen entsprechen dem natürlichen Verlangen nach Glück.
Dieses Verlangen geht auf Gott zurück. Er hat es in das Herz des Menschen
gelegt, um ihn an sich zu ziehen, denn Gott allein vermag es zu erfüllen:
„Gewiß wollen wir alle glücklich leben, und im Menschengeschlecht gibt
es niemand, der diesem Satz nicht zustimmt, noch bevor er voll ausgesprochen
ist" (Augustinus, mor. eccl. 1,3,4).
„Auf welche Weise soll ich dich suchen, Herr? Denn wenn ich dich, meinen
Gott, suche, suche ich das glückselige Leben. Ich will dich suchen,
auf daß meine Seele lebe. Denn mein Leib lebt durch meine Seele, und
meine Seele lebt durch dich" (Augustinus, Conf. 10,29).
„Gott allein sättigt" (Thomas v. A., symb. 1).
1719 Die Seligpreisungen enthüllen den Sinn des menschlichen Daseins,
das letzte Ziel des menschlichen Handelns: die Seligkeit in Gott. Gott
richtet diese Berufung an jeden Menschen persönlich, aber auch an die
ganze Kirche, an das neue Volk derer, welche die Verheißung empfangen
haben und im Glauben aus ihr leben.
III. Die Christliche Glückseligkeit
1720 Das Neue Testament verwendet mehrere Ausdrücke, um die Glückseligkeit
zu bezeichnen, zu der Gott den Menschen beruft: das Kommen des Reiches
Gottes [Vgl. Mt 4,17]; die Schau Gottes: „Selig, die ein reines Herz haben;
denn sie werden Gott schauen" (Mt 5,8) [Vgl. 1 Joh 3,2; 1 Kor 13,12
]; das Eingehen in die Freude des Herrn [Vgl. Mt 25,21.23] und das Eintreten
in die Ruhe Gottes [Vgl. Hebr 4,7-11].
„Da werden wir feiern und schauen, schauen und lieben, lieben und preisen.
Ja, so wird es am Ende endlos sein. Denn was für ein Ziel haben wir,
wenn nicht das, zum Reich zu gelangen, das kein Ende haben wird?"
(Augustinus, civ. 22,30).
1721 Gott hat uns ins Dasein gerufen, damit wir ihn erkennen, ihm dienen,
ihn lieben und so ins Paradies gelangen. Die Seligkeit gibt uns Anteil
„an der göttlichen Natur" (2 Petr 1,4) und am ewigen Leben [Vgl.
Joh 17,3]. Mit ihr tritt der Mensch in die Herrlichkeit Christi ein [Vgl.
Röm 8,18.] und in die Wonne des dreifaltigen Lebens.
1722 Solche Seligkeit übersteigt den Verstand und die Kräfte des Menschen.
Sie wird durch die Gnade Gottes geschenkt. Darum nennt man sie übernatürlich,
wie die Gnade, die den Menschen auf den Eintritt in die Freude Gottes
vorbereitet. „Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.‘
In seiner Größe und unaussprechlichen Herrlichkeit wird zwar ‚niemand
Gott schauen und leben‘, denn unfaßbar ist der Vater. In seiner Liebe,
Menschenfreundlichkeit und Allmacht aber geht er so weit, daß er denen,
die ihn lieben, das Vorrecht gewährt, Gott zu schauen ... Denn ‚was den
Menschen unmöglich ist, ist Gott möglich" (Irenäus, hær. 4,20,5).
1723 Die verheißene Seligkeit stellt uns vor wichtige sittliche Entscheidungen.
Sie lädt uns ein, unser Herz von bösen Trieben zu läutern und danach zu
streben, Gott über alles zu lieben. Sie lehrt uns: Das wahre Glück liegt
nicht in Reichtum und Wohlstand, nicht in Ruhm und Macht, auch nicht in
einem menschlichen Werk - mag dieses auch noch so wertvöll sein wie etwa
die Wissenschaften, die Technik und die Kunst - und auch in keinem Geschöpf,
sondern einzig in Gott, dem Quell alles Guten und aller Liebe.
„Vor dem Reichtum beugen alle die Knie; ihm huldigt die Menge, die
ganze Masse der Menschen instinktiv. Sie bemessen das Glück nach dem
Vermögen, und nach dem Vermögen bemessen sie auch das Ansehen ... All
das kommt aus der Überzeugung, daß man mit dem Reichtum alles könne.
Reichtum ist eines der heutigen Idole, und die Bekanntheit ein anderes
... Die allgemeine Bekanntheit, die Tatsache, daß man bekannt ist und
in der Welt Aufsehen erregt (was man ein Presserenommee nennen könnte),
ist nun zu etwas in sich Gutem geworden, zu einem höchsten Gut, zu einem
Gegenstand wahrer Verehrung" (J. H. Newman, mix. 5: Über die Heiligkeit).
1724 Der Dekalog, die Bergpredigt und die Lehre der Apostel weisen uns
den Weg, der zum Reich des Himmels führt. Wir gehen diesen Weg Schritt
für Schritt in den alltäglichen Verrichtungen, gestützt durch die Gnade
des Heiligen Geistes. Durch das Wirken des Wortes Christi tragen wir in
der Kirche allmählich Früchte zur Ehre Gottes [Vgl. das Gleichnis vom
Sämann: Mt 13,3-23].
Kurztexte
1725 Die Seligpreisungen übernehmen und erfüllen was Gott seit Abraham
verheißen hat indem sie die Verheißungen auf das Himmelreich aus richten.
Sie entsprechen dem Verlangen nach Gluck das Gott in das Herz des Menschen
gelegt hat.
1726 Die Seligpreisungen weisen uns das letzte Ziel zu dem Gott uns beruft:
das Himmelreich die Schau Gottes die Teilhabe an der göttlichen Natur
das ewige Leben die Gotteskindschaft und die Ruhe in Gott.
1727 Die Selzgkeit des enigen Lebens ist ein Geschenk der Gnade Gottes;
sie ist übernatürlich wie die Gnade, die zu ihr führt.
1728 Die Seligpreisungen stellen uns vor wichtige Entscheidungen bezüglich
der irdischen Gutei Sie läutern unser Herz und lehren uns Gott über alles
zu lieben.
1729 Die himmlische Seligkeit setzt die Maßstäbe für einen dem Gesetz
Gottes entsprechenden Gebrauch der irdischen Güter.
Artikel 3
Die Freiheit Des Menschen
1730 Gott hat den Menschen als vernunftbegabtes Wesen erschaffen und
ihm die Würde einer Person verliehen, die aus eigenem Antrieb handelt
und über ihre Handlungen Herr ist. „Gott wollte nämlich den Menschen ‚der
Macht der eigenen Entscheidung überlassen‘ (Sir 15,14), so daß er von
sich aus seinen Schöpfer suche und frei zur vollen und seligen Vollendung
gelange, indem er ihm anhängt" (GS 17).
„Der Mensch ist vernünftig und dadurch das Ebenbild Gottes, geschaffen
in Freiheit und Herr seines Tuns" (Irenäus, hær. 4,4,3).
I. Freiheit Und Verantwortung
1731 Die Freiheit ist die in Verstand und Willen verwurzelte Fähigkeit,
zu handeln oder nicht zu handeln, dieses oder jenes zu tun und so von
sich aus bewußte Handlungen zu setzen. Durch den freien Willen kann jeder
über sich selbst bestimmen. Durch seine Freiheit soll der Mensch in Wahrheit
und Güte wachsen und reifen. Die Freiheit erreicht dann ihre Vollendung,
wenn sie auf Gott, unsere Seligkeit, ausgerichtet ist.
1732 Solange sich die Freiheit nicht endgültig an Gott, ihr höchstes
Gut, gebunden hat, liegt in ihr die Möglichkeit, zwischen Gut und Böse
zu wählen, also entweder an Vollkommenheit zu wachsen oder zu versagen
und zu sündigen. Die Freiheit kennzeichnet die im eigentlichen Sinn menschlichen
Handlungen. Sie zieht Lob oder Tadel, Verdienst oder Schuld nach sich.
1733 Je mehr man das Gute tut, desto freier wird man. Wahre Freiheit
gibt es nur im Dienst des Guten und der Gerechtigkeit. Die Entscheidung
zum Ungehorsam und zum Bösen ist ein Mißbrauch der Freiheit und macht
zum Sklaven der Sünde [Vgl. Röm 6,17].
1734 Aufgrund seiner Freiheit ist der Mensch für seine Taten soweit verantwortlich,
als sie willentlich sind. Fortschritt in der Tugend, Erkenntnis des Guten
und Askese stärken die Herrschaft des Willens über das Tun.
1735 Die Anrechenbarkeit einer Tat und die Verantwortung für sie können
durch Unkenntnis, Unachtsamkeit, Gewalt, Furcht, Gewohnheiten, übermäßige
Affekte sowie weitere psychische oder gesellschaftliche Faktoren vermindert,
ja sogar aufgehoben sein.
1736 Jede direkt gewollte Tat ist dem Handelnden anzurechnen.
So richtet der Herr an Eva nach dem Sündenfall im Garten die Frage: „Was
hast du da getan?" (Gen 3,13). Die gleiche Frage stellt er Kain [Vgl.
Gen 4,10]. Der Prophet Natan stellt sie dem König David nach dem Ehebruch
mit der Frau des Urija und dessen Ermordung [Vgl Sam 12,7-15].
Eine Handlung kann indirekt willentlich sein, und zwar dann, wenn sie
infolge einer Fahrlässigkeit in bezug auf etwas geschieht, das man hätte
wissen oder tun müssen. Ein Beispiel dafür ist ein Unfall aus Unkenntnis
der Verkehrsregeln.
1737 Eine Wirkung, die vom Handelnden nicht gewollt ist, kann in Kauf
genommen werden, wie etwa eine Mutter übermäßige Erschöpfung in Kauf nimmt,
um ihr krankes Kind zu pflegen. Die schlechte Wirkung ist nicht anrechenbar,
wenn sie weder als Zweck noch als Mittel gewollt war, so z. B. der eigene
Tod, den jemand erleidet, weil er einem Menschen, der in Gefahr ist, zuhilfe
kommt. Anrechenbar ist aber die schlechte Wirkung dann, wenn sie vorauszusehen
war und der Handelnde sie hätte vermeiden können, wie etwa die Tötung
eines Menschen durch einen betrunkenen Fahrzeuglenker.
1738 Freiheit wird in zwischenmenschlichen Beziehungen ausgeübt. Jeder
Mensch hat das natürliche Recht, als ein freies, verantwortliches Wesen
anerkannt zu werden, weil er nach dem Bilde Gottes geschaffen ist. Alle
Menschen sind einander diese Achtung schuldig. Das Recht, die Freiheit
auszuüben, ist untrennbar mit der Würde des Menschen verbunden, besonders
in sittlichen und religiösen Belangen [Vgl. DH 2]. Dieses Recht muß durch
die staatliche Gesetzgebung anerkannt und innerhalb der Grenzen des Gemeinwohls
und der öffentlichen Ordnung geschützt werden [Vgl. DH 7].
II. Die Menschliche Freiheit In Der
Heilsökonomie
1739 Freiheit und Sünde. Die Freiheit des Menschen ist begrenzt und fehlbar.
Der Mensch hat sich tatsächlich verfehlt. Er hat freiwillig gesündigt.
Indem er den liebevollen Plan Gottes zurückwies, täuschte er sich selbst;
er wurde zum Sklaven der Sünde. Diese erste Entfremdung zog viele andere
nach sich. Die Geschichte der Menschheit zeugt von Anfang an von schlimmen
Geschehnissen und Unterdrückungen, die infolge eines Mißbrauchs der Freiheit
aus dem Herzen des Menschen hervorgingen.
1740 Bedrohungen der Freiheit. Die Freiheit gibt uns nicht das Recht,
alles zu sagen und alles zu tun. Es ist falsch zu behaupten, daß der Mensch,
das Subjekt der Freiheit ist, das „sich selbst genügt und als Ziel die
Befriedigung seines eigenen Interesses im Genuß der irdischen Güter hat"
(CDF, Instr. „Libertatis conscientia" 13). Die wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Voraussetzungen zu einer
gerechten Ausübung der Freiheit werden allzu oft verkannt oder verletzt.
Solche Verblendung und Ungerechtigkeit belasten das sittliche Leben und
bringen Starke und Schwache in Versuchung, gegen die Liebe zu sündigen.
Wenn sich der Mensch vom sittlichen Gesetz entfernt, beeinträchtigt er
seine Freiheit, kettet sich an sich selbst, zerreißt die Bande der Brüderlichkeit
und lehnt sich gegen die göttliche Wahrheit auf.
1741 Befreiung und Heil. Durch sein glorreiches Kreuz hat Christus allen
Menschen das Heil erworben. Er hat sie von der Sünde befreit, die sie
gefangen hielt. „Zur Freiheit hat uns Christus befreit" (Gal 5, 1).
In ihm haben wir teil an der „Wahrheit", die frei macht (Joh 8,32).
Uns wurde der Heilige Geist geschenkt, und „wo der Geist des Herrn wirkt,
da ist Freiheit" (2 Kor 3, 17), lehrt der hi. Paulus. Schon jetzt
rühmen wir uns der „Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes"
(Röm 8,21).
1742 Freiheit und Gnade. Die Gnade Christi beeinträchtigt unsere Freiheit
keineswegs, falls diese dem Sinn für das Wahre und Gute entspricht, den
Gott in das Herz des Menschen gelegt hat. Die christliche Erfahrung bezeugt
vor allem im Gebet das Gegenteil: Unsere innere Freiheit und unsere Standhaftigkeit
in Prüfungen sowie gegenüber dem Druck und den Zwängen der äußeren Welt
nehmen in dem Maß zu, in dem wir den Anregungen der Gnade folgen. Durch
das Wirken der Gnade erzieht uns der Heilige Geist zur geistigen Freiheit,
um uns zu freien Mitarbeitern seines Werkes in Kirche und Welt zu machen.
„Allmächtiger und barmherziger Gott, ... Halte von uns fern, was uns
gefährdet, und nimm weg, was uns an Seele und Leib bedrückt, damit wir
freien Herzens deinen Willen tun" (MR, Tagesgebet vom 32. Sonntag).
Kurztexte
1743 Gott hat den Menschen der Macht der eigenen Entscheidung überlassen
(Sir 15 14) damit er seinem Schöpfer in Freiheit anhängen und so zur seligen
Vollendung gelangen kann [Vgl. GS 17,1].
1744 Die Freiheit ist die Macht zu handeln oder nicht zu handeln und
selbständig willentliche Handlungen zu setzen. Die Ausübung der Freiheit
ist vollkommen wenn sie auf Gott das höchste Gut ausgerichtet ist.
1745 Die Freiheit kennzeichnet die eigentlich menschlichen Handlungen.
Sie macht den Menschen für willentlich gesetzte Taten verantwortlich Seine
willentlichen Handlungen sind ihm zu eigen.
1746 Unkenntnis Gewalt Furcht und weitere psychische oder gesellschaftliche
Umstände können die Anrechenbarkeit einer Tat und die Verantwortung für
sie vermindern oder aufheben.
1747 Das Recht seine Freiheit auszuüben ist eine von der Menschenwürde
untrennbare Forderung besonders in religiösen und sittlichen Belangen.
Mit der Ausübung der Freiheit ist aber nicht das Recht gegeben alles zu
sagen oder alles zu tun.
1748 Zur Freiheit hat uns Christus befreit (Gal 5 1).
Artikel 4
Der Sittliche Charakter Der Menschlichen Handlungen
1749 Die Freiheit macht den Menschen zu einem sittlichen Subjekt. Wenn
er bewußt handelt, ist der Mensch sozusagen der Vater seiner Handlungen.
Die eigentlich menschlichen, das heißt aufgrund eines Gewissensurteils
gewählten Handlungen können sittlich bewertet werden. Sie sind entweder
gut oder böse.
I. Die Quellen Der Sittlichkeit
1750 Der sittliche Charakter der menschlichen Handlungen hängt ab
- vom gewählten Objekt;
- vom angestrebten Ziel oder von der Absicht;
- von den Umständen der Handlung.
Das Objekt, die Absicht und die Umstände bilden die Quellen oder wesentlichen
Elemente der Sittlichkeit menschlicher Handlungen.
1751 Das gewählte Objekt ist ein Gut, auf das sich der Wille bewußt richtet.
Es ist der „Stoff" einer menschlichen Handlung. Das gewählte Objekt
bestimmt den sittlichen Charakter des Willensaktes, je nachdem, ob es
gemäß dem Urteil der Vernunft dem wahren Gut entspricht oder nicht. Die
objektiven Regeln der Sittlichkeit drücken die vernunftgemäße Ordnung
des Guten und des Bösen aus, die durch das Gewissen bezeugt wird.
1752 Im Unterschied zum Objekt steht die Absicht auf der Seite des handelnden
Subjekts. Weil die Absicht in der Freiheit wurzelt und die Handlung auf
ihr Ziel festlegt, ist sie ein Element, das den sittlichen Charakter einer
Handlung wesentlich bestimmt. Das Ziel ist das, worauf sich die Absicht
in erster Linie richtet. Es bezeichnet den im Handeln angestrebten Zweck.
Die Absicht ist eine auf das Ziel gerichtete Willensbewegung; sie bestimmt,
worauf sich das Handeln richtet. Sie richtet den Blick auf das Gut, das
von der betreffenden Handlung erwartet wird. Sie beschränkt sich nicht
auf die Ausrichtung einzelner Taten, sondern kann eine Vielfalt von Handlungen
auf ein und dasselbe Ziel hinordnen; sie kann das ganze Leben auf das
letzte Ziel ausrichten. Zum Beispiel hat ein Dienst, den man erweist,
das Ziel, dem Mitmenschen zu helfen; er kann aber gleichzeitig von der
Liebe zu Gott als dem letzten Ziel all unserer Handlungen beseelt sein.
Ein und dieselbe Handlung kann auch von mehreren Absichten getragen sein,
etwa, wenn man einen Dienst erweist, um eine Gunst zu erlangen oder um
sich damit zu brüsten.
1753 Eine gute Absicht (z. B. die, dem Nächsten zu helfen) macht ein
an sich falsches Verhalten (wie Lüge oder Verleumdung) nicht zu etwas
Gutem oder Richtigem. Der Zweck rechtfertigt die Mittel nicht. Darum kann
man etwa die Verurteilung eines Unschuldigen nicht als ein legitimes Mittel
zur Rettung des Volkes rechtfertigen. Hingegen wird eine an sich gute
Handlung (z. B. Almosengeben) [Vgl. Mt 6,2-4] zu etwas Schlechtem, wenn
eine schlechte Absicht (z. B. Eitelkeit) hinzukommt.
1754 Die Umstände, einschließlich der Folgen, sind zweitrangige Elemente
einer sittlichen Handlung. Sie tragen dazu bei, die sittliche Güte oder
Schlechtigkeit menschlicher Handlungen zu steigern oder abzuschwächen
(ein solcher Umstand ist z. B. die Höhe des Betrages eines Diebstahls).
Sie können auch die Verantwortung des Handelnden vermindern oder vermehren
(z. B. Handeln aus Todesangst). Die Umstände können an sich die sittliche
Beschaffenheit der Handlungen selbst nicht ändern; sie können eine in
sich schlechte Handlung nicht zu etwas Gutem und Gerechtem machen.
II. Gute Und Schlechte Handlungen
1755 Die sittlich gute Handlung setzt voraus, daß sowohl das Objekt als
auch die Absicht und die Umstände gut sind. Eine schlechte Absicht macht
die Handlung zu etwas Schlechtem, selbst wenn ihr Gegenstand an sich gut
ist (etwa beten und fasten, „um von den Menschen gesehen zu werden").
Das gewählte Objekt kann allein schon ein Handeln als Ganzes zu etwas
Schlechtem machen. Es gibt konkrete Verhaltensweisen wie etwa die Unzucht,
für die sich zu entscheiden stets falsch ist, weil in der Entscheidung
für sie ein Fehlgriff des Willens liegt, das heißt etwas sittlich Schlechtes.
1756 Somit ist es falsch, bei der Beurteilung des sittlichen Charakters
der menschlichen Handlungen einzig die ihr zugrunde liegende Absicht oder
die sie begleitenden Umstände (wie Milieu, gesellschaftlicher Druck, Zwang
oder Notwendigkeit zu handeln) zu beachten. Es gibt Handlungen, die wegen
ihres Objekts in schwerwiegender Weise, unabhängig von den Umständen und
den Absichten, aus sich und in sich schlecht sind, z. B. Gotteslästerung
und Meineid, Mord und Ehebruch. Es ist nicht erlaubt, etwas Schlechtes
zu tun, damit etwas Gutes daraus entsteht.
Kurztexte
1757 Das Objekt die Absicht und die Umstände bilden die drei Quellen
der Sittlichkeit menschlicher Handlungen.
1758 Das gewählte Objekt bestimmt die Sittlichkeit des Willensaktes je
nachdem die Vernunft es als gut oder schlecht erkennt und beurteilt.
1759 Keine in guter Absicht vollzogene schlechte Tat wird entschuldigt"
(Thomas v. A., dec. præc. 1) Der Zweck rechtfertigt die Mittel nicht.
1760 Damit eine Handlung sittlich gut ist müssen zugleich das Objekt
das Ziel und die Umstände gut sein.
1761 Es gibt konkrete Verhaltensweisen, die zu wählen immer falsch ist.
Denn ein solcher Entschluß bedingt schon eine Ungeordnetheit des Willens
das heißt etwas sittlich Schlechtes. Es ist nicht erlaubt etwas Schlechtes
zu tun damit dabei etwas Gutes entsteht.
Artikel 5
Die Sittlichkeit Der Leidenschaften
1762 Der Mensch richtet sich durch bewußte Handlungen auf die Seligkeit
aus. Leidenschaften oder Gefühle, die er verspürt, können darauf vorbereiten
und dazu beitragen.
I. Die Leidenschaften
1763 Der Ausdruck „Leidenschaften" gehört zum christlichen Sprachgebrauch.
Als Leidenschaften oder Gefühle bezeichnet man die Regungen und Bewegungen
des Empfindungsvermögens. Sie drängen zum Handeln oder Nicht-Handeln,
je nachdem, ob etwas als gut oder schlecht empfunden oder vorgestellt
wird.
1764 Leidenschaften sind natürliche Regungen der menschlichen Seele.
Sie bilden die Durchgangs- und Nahtstelle zwischen dem sinnenhaften und
dem geistigen Leben. Unser Herr bezeichnet das Herz des Menschen als die
Quelle, aus der die Regungen der Leidenschaften hervorgehen [Vgl. Mk 7,2].
1765 Die Leidenschaften sind zahlreich. Die grundlegendste Leidenschaft
ist die Liebe, hervorgerufen durch die Anziehungskraft des Guten. Liebe
bewirkt das Verlangen nach dem nicht gegenwärtigen Gut und die Hoffnung,
es zu erlangen. Diese Regung kommt zur Ruhe im Gefallen und in der Freude
am Gut, das man besitzt. Die Wahrnehmung von etwas Schlechtem bewirkt
Haß, Abneigung und Angst vor dem drohenden Übel. Diese Regung endet in
Traurigkeit über das vorhandene Übel oder im Zorn, der sich dagegen aufbäumt.
1766 „Lieben heißt jemandem Gutes wollen" (Thomas v. A., s. th.
1-2, 26,4). Alle anderen Leidenschaften entspringen dieser Urbewegung
des Menschenherzens zum Guten. Man liebt nur Gutes [Vgl. Augustinus, Trin.
8,3]. „Die Gemütsbewegungen sind schlecht, wenn die Liebe schlecht ist,
gut, wenn sie gut ist" (Augustinus, civ. 14,7).
II. Leidenschaften Und Sittliches
Leben
1767 Die Leidenschaften sind an sich weder gut noch böse. Sie werden
nur in dem Maß sittlich bestimmt, als sie der Vernunft und dem Willen
unterstehen. Leidenschaften werden als willentlich bezeichnet, „weil sie
vom Willen angeregt oder vom Willen nicht verhindert werden" (Thomas
v. A., s. th. 1-2,24,1). Es gehört zur Vollkommenheit des sittlich oder
menschlich Guten, daß die Leidenschaften durch die Vernunft geregelt werden
[Vgl. Thomas v. A., s. th. 1-2,24].
1768 Starke Empfindungen sind weder für die sittliche Haltung noch für
die Heiligkeit der Menschen entscheidend; sie sind aber die unerschöpfliche
Vorratskammer von Bildern und Gemütsregungen, in denen sich das sittliche
Leben äußert. Die Leidenschaften sind sittlich gut, wenn sie zu einer
guten Handlung beitragen; schlecht, wenn das Gegenteil der Fall ist. Der
rechte Wille ordnet die sinnlichen Regungen, die er sich zu eigen macht,
auf das Gute und auf die Seligkeit hin; der schlechte Wille erliegt den
ungeordneten Leidenschaften und steigert sie. Die Gemütsbewegungen und
Gefühle können in die Tugenden aufgenommen oder durch die Laster verdorben
werden.
1769 Im christlichen Leben vollbringt der Heilige Geist sein Werk, indem
er den ganzen Menschen mit all seinen Schmerzen, Ängsten und Traurigkeiten
einsetzt, wie in der Todesangst und im Leiden des Herrn sichtbar wird.
In Christus können die menschlichen Gefühle in der christlichen Liebe
und göttlichen Seligkeit ihre Vollendung finden.
1770 Die sittliche Vollkommenheit besteht darin, daß der Mensch nicht
nur durch seinen Willen zum Guten bewogen wird, sondern auch durch das
sinnliche Strebevermögen, gemäß dem Psalmwort: „Mein Herz und mein Leib
jauchzen ihm zu, ihm, dem lebendigen Gott" (Ps 84,3).
Kurztexte
1771 Der Ausdruck Leidenschaften bezeichnet die Gemütsbewegungen oder
Gefühle. Durch seine Gefühlsregungen erahnt der Mensch das Gute und argwöhnt
das Böse.
1772 Die grundlegenden Leidenschaften sind Liebe und Haß, Verlangen und
Furcht Freude und Traurigkeit sowie Zorn.
1773 Als Regungen des Empfindungsvermögens sind die Leidenschaften weder
sittlich gut noch schlecht; soweit sie jedoch der Vernunft und dem Willen
unterstehen oder nicht, sind sie sittlich gut oder schlecht.
1774 Gemütsbewegungen und Gefühle können durch die Tugenden aufgenommen
oder durch die Laster verdorben werden.
1775 Die sittliche Vollkommenheit besteht darin daß der Mensch nicht
allein durch seinen Willen sondern auch durch sein Herz zum Guten bewogen
wird.
Artikel 6
Das Gewissen
1776 „Im Innersten seines Gewissens entdeckt der Mensch ein Gesetz, das
er sich nicht selbst gibt, sondern dem er gehorchen muß und dessen Stimme
ihn immer anruft, das Gute zu lieben und zu tun und das Böse zu meiden
und so, wo nötig, in den Ohren des Herzens tönt ... Denn der Mensch hat
ein Gesetz, das von Gott seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen
eben seine Würde ist... Und das Gewissen ist der verborgenste Kern und
das Heiligtum des Menschen, in dem er allein ist mit Gott, dessen Stimme
in seinem Innersten widerhallt" (GS 16).
I. Das Gewissensurteil
1777 Im Innersten der Person wirkt das Gewissen [Vgl. Röm 2,14-1]. Es
gebietet zum gegebenen Zeitpunkt, das Gute zu tun und das Böse zu unterlassen.
Es urteilt auch über die konkreten Entscheidungen, indem es den guten
zustimmt, die schlechten mißbilligt [Vgl. Röm 1,32.]. Es bezeugt die Wahrheit
im Hinblick auf das höchste Gut, auf Gott, von dem der Mensch angezogen
wird und dessen Gebote er empfängt. Wenn er auf das Gewissen hört, kann
der kluge Mensch die Stimme Gottes vernehmen, die darin spricht.
1778 Das Gewissen ist ein Urteil der Vernunft, in welchem der Mensch
erkennt, ob eine konkrete Handlung, die er beabsichtigt, gerade ausführt
oder schon getan hat, sittlich gut oder schlecht ist. Bei allem, was er
sagt und tut, ist der Mensch verpflichtet, sich genau an das zu halten,
wovon er weiß, daß es recht und richtig ist. Durch das Gewissensurteil
vernimmt und erkennt der Mensch die Anordnungen des göttlichen Gesetzes.
Das Gewissen ist „ein Gesetz des Geistes" und ist darüber hinaus
„eine unmittelbare Einsprechung", die „auch den Begriff der Verantwortlichkeit,
der Pflicht, einer Drohung und einer Verheißung" in sich schließt
Es ist ein Bote dessen, der sowohl in der Natur als auch in der Gnade
hinter einem Schleier zu uns spricht und uns durch seine Stellvertreter
lehrt und regiert. Das Gewissen ist der ursprüngliche Statthalter Christi"
(J. H. Newman, Brief an den Herzog von Norfolk 5).
1779 Um die Stimme des Gewissens vernehmen und ihr folgen zu können,
muß man in sich gehen. Dieses Streben nach Innerlichkeit ist umso nötiger,
als das Leben uns oft in Gefahr bringt, jegliche Überlegung, Selbstprüfung
und Selbstbesinnnung zu unterlassen.
„Halte Einkehr in dein Gewissen, dieses befrage! ... Haltet also Einkehr
in euer Inneres, Brüder! Und in allem, was ihr tut, schaut, daß Gott
euer Zeuge sei!" (Augustinus, ep. Jo. 8,9).
1780 Die Würde der menschlichen Person enthält und verlangt, daß das
Gewissen richtig urteilt. Zum Gewissen gehören: die Wahrnehmung der Moralprinzipien
[Synderesisi, ihre Anwendung durch eine Beurteilung der Gründe und der
Güter unter den gegebenen Umständen, und schließlich das Urteil über die
auszuführenden oder bereits durchgeführten konkreten Handlungen. Das kluge
Urteil des Gewissens anerkennt praktisch und konkret die Wahrheit über
das sittlich Gute, die im Gesetz der Vernunft ausgedrückt ist. Als klug
bezeichnet man den Menschen, der sich diesem Urteil gemäß entscheidet.
1781 Das Gewissen ermöglicht es, für die vollbrachten Handlungen die
Verantwortung zu übernehmen. Hat der Mensch Böses getan, kann das rechte
Gewissensurteil in ihm immer noch Zeuge dafür sein, daß die moralische
Wahrheit gilt, seine konkrete Entscheidung aber schlecht ist. Der Schuldspruch
des schlechten Gewissens bleibt ein Unterpfand der Hoffnung und des Erbarmens.
Indem er die begangene Verfehlung bezeugt, mahnt er, um Vergebung zu bitten,
das Gute doch noch auszuführen und mit Hilfe der Gnade Gottes die Tugend
unablässig zu pflegen.
„Wir werden unser Herz in seiner Gegenwart beruhigen. Denn wenn das
Herz uns auch verurteilt - Gott ist größer als unser Herz, und er weiß
alles" (1 Joh 3,19-20).
1782 Der Mensch hat das Recht, in Freiheit seinem Gewissen entsprechend
zu handeln, und sich dadurch persönlich sittlich zu entscheiden. „Er darf
also nicht gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu handeln. Er darf aber
auch nicht daran gehindert werden, gemäß seinem Gewissen zu handeln, besonders
im Bereiche der Religion" (DH 3).
II. Die Gewissensbildung
1783 Das Gewissen muß geformt und das sittliche Urteil erhellt werden.
Ein gut gebildetes Gewissen urteilt richtig und wahrhaftig. Es folgt bei
seinen Urteilen der Vernunft und richtet sich nach dem wahren Gut, das
durch die Weisheit des Schöpfers gewollt ist. Für uns Menschen, die schlechten
Einflüssen unterworfen und stets versucht sind, dem eigenen Urteil den
Vorzug zu geben und die Lehren der kirchlichen Autorität zurückzuweisen,
ist die Gewissenserziehung unerläßlich.
1784 Die Erziehung des Gewissens ist eine lebenslange Aufgabe. Schon
in den ersten Jahren leitet sie das Kind dazu an, das durch das Gewissen
wahrgenommene innere Gesetz zu erkennen und zu erfüllen. Eine umsichtige
Erziehung regt zu tugendhaftem Verhalten an. Sie bewahrt oder befreit
vor Furcht, Selbstsucht und Stolz, falschen Schuldgefühlen und Regungen
der Selbstgefälligkeit, die durch menschliche Schwäche und Fehlerhaftigkeit
entstehen können. Gewissenserziehung gewährleistet die Freiheit und führt
zum Frieden des Herzens.
1785 Bei der Gewissensbildung ist das Wort Gottes Licht auf unserem Weg.
Wir müssen es uns im Glauben und Gebet zu eigen machen und in die Tat
umsetzen. Auch sollen wir unser Gewissen im Blick auf das Kreuz des Herrn
prüfen. Wir werden dabei durch die Gaben des Heiligen Geistes und das
Zeugnis und die Ratschläge anderer unterstützt und durch die Lehre der
kirchlichen Autorität geleitet [Vgl. DH 14].
III. Nach Dem Gewissen Entscheiden
1786 Vor eine sittliche Entscheidung gestellt, kann das Gewissen in Übereinstimmung
mit der Vernunft und dem göttlichen Gesetz richtig urteilen oder, falls
es sich an beides nicht hält, irren.
1787 Der Mensch steht zuweilen vor Situationen, die das Gewissensurteil
unsicher und die Entscheidung schwierig machen. Er soll jedoch stets nach
dem Richtigen und Guten suchen und den Willen Gottes, der im göttlichen
Gesetz zum Ausdruck kommt, erkennen.
1788 Zu diesem Zweck bemüht sich der Mensch, seine Erfahrungen und die
Zeichen der Zeit mit Hilfe der Tugend der Klugheit, der Ratschläge sachkundiger
Menschen und mit Hilfe des Heiligen Geistes und seiner Gaben richtig zu
deuten.
1789 In allen Fällen gelten die folgenden Regeln:
- Es ist nie erlaubt, Böses zu tun, damit daraus etwas Gutes hervorgehe.
- Die „Goldene Regel": „Alles, was ihr also von anderen erwartet,
das tut auch ihnen" (Mt 7,12) [Vgl. Lk 6,31; Tob 4,15].
- Die christliche Liebe achtet immer den Nächsten und sein Gewissen:
„Wenn ihr euch ... gegen eure Brüder versündigt und ihr ... Gewissen
verletzt, versündigt ihr euch gegen Christus" (1 Kor 8,12). „Es
ist nicht gut ... etwas zu tun, wenn dein Bruder daran Anstoß nimmt"
(Röm 14,21).
IV. Das Irrende Gewissen
1790 Dem sicheren Urteil seines Gewissens muß der Mensch stets Folge
leisten. Würde er bewußt dagegen handeln, so verurteilte er sich selbst.
Es kann jedoch vorkommen, daß das Gewissen über Handlungen, die jemand
plant oder bereits ausgeführt hat, aus Unwissenheit Fehlurteile fällt.
1791 An dieser Unkenntnis ist der betreffende Mensch oft selbst schuld,
z. B. dann, wenn er „sich zuwenig darum müht, nach dem Wahren und Guten
zu suchen, und das Gewissen aufgrund der Gewöhnung an die Sünde allmählich
fast blind wird" (GS 16). In diesem Fall ist er für das Böse, das
er tut, verantwortlich.
1792 Unkenntnis über Christus und sein Evangelium, schlechte Beispiele
anderer Leute, Verstrickung in Leidenschaften, Anspruch auf eine falsch
verstandene Gewissensautonomie, Zurückweisung der Autorität der Kirche
und ihrer Lehre, Mangel an Umkehrwillen und christlicher Liebe können
der Grund für Fehlurteile im sittlichen Verhalten sein.
1793 Wenn hingegen die Unkenntnis unüberwindlich oder der Betreffende
für das Fehlurteil nicht verantwortlich ist, kann ihm seine böse Tat nicht
zur Last gelegt werden. Trotzdem bleibt sie etwas Böses, ein Mangel, eine
Unordnung. Aus diesem Grund müssen wir uns bemühen, Irrtümer des Gewissens
zu beheben.
1794 Das gute und reine Gewissen wird durch den wahren Glauben erleuchtet,
denn die christliche Liebe geht gleichzeitig „aus reinem Herzen, gutem
Gewissen und ungeheucheltem Glauben" hervor (1 Tim 1,5) [Vgl. 1 Tim
3,9; 2 Tim 1,3; 1 Petr 3,21; Apg 24,16].
„Je mehr also das rechte Gewissen sich durchsetzt, desto mehr lassen
die Personen und Gruppen von der blinden Willkür ab und suchen sich
nach den objektiven Normen der Sittlichkeit zu richten" (GS 16).
Kurztexte
1795 Das Gewissen ist der verborgenste Kern und das Heiligtum des Menschen
in dem er allein ist mit Gott dessen Stimme in seinem Innersten widerhallt"
(GS 16).
1796 Das Gewissen ist ein Urteil der Vernunft durch das der Mensch erkennt
ob eine bestimmte Tat gut oder schlecht ist.
1797 Fur den Menschen der etwas Schlechtes getan hat bleibt das Urteil
seines Gewissens ein Unterpfand der Bekehrung und der Hoffnung.
1798 Ein gut gebildetes Gewissen ist aufrecht und wahrhaftig Es urteilt
vernunftgemäß, dem wahren Guten entsprechend das die Weisheit des Schöpfers
gewollt hat Ein jeder soll sich der Mittel zur Bildung seines Gewissens
bedienen.
1799 Vor eine sittliche Entscheidung gestellt kann das Gewissen entweder
ein richtiges Urteil fallen das mit der Vernunft und dem göttlichen Gesetz
übereinstimmt oder aber ein Fehlurteil das beidem wider spricht.
1800 Der Mensch muß dem sicheren Urteil seines Gewissens stets folgen.
1801 Das Gewissen kann in Unkenntnis bleiben oder falsch urteilen. Solche
Unkenntnis und Fehlurteile sind nicht immer frei von Schuld.
1802 Das Wort Gottes ist ein Licht das unsere Pfade erhellt Wir müssen
es uns im Glauben und im Gebet zu eigen machen und in die Tat Umsetzen
Auf diese Weise wird das Gewissen gebildet.
Artikel 7
Die Tugenden
1803 „Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend
ist, was Tugend heißt und lobenswert ist, darauf seid bedacht!" (Phil
4,8).
Die Tugend ist eine beständige, feste Neigung, das Gute zu tun. Sie ermöglicht
dem Menschen, nicht nur gute Taten zu vollbringen, sondern sein Bestes
zu leisten. Mit all seinen sinnlichen und geistigen Kräften strebt der
tugendhafte Mensch nach dem Guten. Er sucht es zu erreichen und entscheidet
sich bei seinen konkreten Handlungen dafür.
„Das Ziel eines tugendhaften Lebens besteht darin, Gott ähnlich zu
werden" (Gregor von Nyssa, beat. 1).
I. Die Menschlichen Tugenden
1804 Die menschlichen Tugenden sind feste Haltungen, verläßliche Neigungen,
beständige Vollkommenheiten des Verstandes und des Willens, die unser
Tun regeln, unsere Leidenschaften ordnen und unser Verhalten der Vernunft
und dem Glauben entsprechend lenken. Sie verleihen dem Menschen Leichtigkeit,
Sicherheit und Freude zur Führung eines sittlich guten Lebens. Der tugendhafte
Mensch tut freiwillig das Gute.
Die sittlichen Tugenden werden durch menschliches Bemühen erworben. Sie
sind Früchte und zugleich Keime sittlich guter Taten; sie ordnen alle
Kräfte des Menschen darauf hin, mit der göttlichen Liebe vereint zu leben.
Die Kardinaltugenden
1805 Vier Tugenden sind Angelpunkte des sittlichen Lebens. Aus diesem
Grund nennt man sie „Kardinal"-Tugenden; alle anderen sind rund um
sie angeordnet. Es sind dies die Klugheit, die Gerechtigkeit, die Tapferkeit
und die Mäßigung. „Wenn jemand Gerechtigkeit liebt, in ihren Mühen findet
er die Tugenden. Denn sie lehrt Maß und Klugheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit"
(Weish 8,7). Auch unter anderen Bezeichnungen werden diese Tugenden in
zahlreichen Texten der Schrift gelobt.
1806 Die Klugheit ist jene Tugend, welche die praktische Vernunft bereit
macht, in jeder Lage unser wahres Gut zu erfassen und die richtigen Mittel
zu wählen, um es zu erlangen. „Der Kluge achtet auf seinen Schritt"
(Spr 14,15). „Seid also besonnen und nüchtern, und betet!" (1 Petr
4,7). „Klugheit ist die rechte Vernunft als Grund des Handelns",
schreibt der hl. Thomas (s. th. 2-2, 47, 2, sc) im Anschluß an Aristoteles.
Sie hat nichts mit Schüchternheit oder Ängstlichkeit, mit Doppelzüngigkeit
oder Verstellung zu tun. Man nennt sie „auriga virtutum" [Lenkerin
der Tugenden]: sie steuert die anderen Tugenden, indem sie ihnen Regel
und Maß gibt. Die Klugheit lenkt unmittelbar das Gewissensurteil. Der
kluge Mensch bestimmt und ordnet sein Verhalten diesem Urteil gemäß. Dank
dieser Tugend wenden wir die sittlichen Grundsätze irrtumslos auf die
einzelnen Situationen an und überwinden die Zweifel hinsichtlich des Guten,
das zu tun, und des Bösen, das zu meiden ist.
1807 Die Gerechtigkeit als sittliche Tugend ist der beständige, feste
Wille, Gott und dem Nächsten das zu geben, was ihnen gebührt. Die Gerechtigkeit
gegenüber Gott nennt man „Tugend der Gottesverehrung" [virtus religionis].
Gerechtigkeit gegenüber Menschen ordnet darauf hin, die Rechte eines jeden
zu achten und in den menschlichen Beziehungen jene Harmonie herzustellen,
welche die Rechtschaffenheit gegenüber den Personen und dem Gemeinwohl
fördert. Der gerechte Mensch, von dem in der Heiligen Schrift oft gesprochen
wird, zeichnet sich durch die ständige Geradheit seines Denkens und die
Richtigkeit seines Verhaltens gegenüber dem Nächsten aus. „Du sollst weder
für einen Geringen noch für einen Großen Partei nehmen; gerecht sollst
du deinen Stammes genossen richten" (Lev 19,15). „Ihr Herren, gebt
den Sklaven, was recht und billig ist; ihr wißt, daß auch ihr im Himmel
einen Herrn habt" (Kol 4,1).
1808 Die Tapferkeit ist jene sittliche Tugend, die in Schwierigkeiten
standhalten und im Erstreben des Guten durchhalten läßt. Sie festigt die
Entschlossenheit, Versuchungen zu widerstehen und im sittlichen Leben
Hindernisse zu überwinden. Die Tugend der Tapferkeit befähigt, die Angst,
selbst die vor dem Tod, zu besiegen und allen Prüfungen und Verfolgungen
die Stirn zu bieten. Sie macht bereit, für eine gerechte Sache auch das
eigene Leben zu opfern. „Meine Stärke und mein Lied ist der Herr"
(Ps 118,14). „In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe
die Welt besiegt" (Joh 16,33).
1809 Die Mäßigung ist jene sittliche Tugend, welche die Neigung zu verschiedenen
Vergnügungen zügelt und im Gebrauch geschaffener Güter das rechte Maß
einhalten läßt. Sie sichert die Herrschaft des Willens über die Triebe
und läßt die Begierden die Grenzen des Ehrbaren nicht überschreiten. Der
maßvolle Mensch richtet sein sinnliches Strebe vermögen auf das Gute,
bewahrt ein gesundes Unterscheidungsvermögen und richtet sich nach dem
Wort: „Folg nicht deinem Herzen und deinen Augen, um nach dem Begehren
deiner Seele zu leben" (Sir 5,2) [Vgl. Sir 37,27-31]. Die Tugend
des Maßhaltens wird im Alten Testament oft gelobt: „FoIg nicht deinen
Begierden, von deinen Gelüsten halte dich fern!" (Sir 18,30). Im
Neuen Testament wird sie „Besonnenheit" oder „Nüchternheit"
genannt. Wir sollen „besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben"
(Tit 2,12).
„Ein gutes Leben führen ist nichts anderes, als Gott aus ganzem Herzen,
aus ganzer Seele und aus ganzem Sinn zu lieben. Man bewahrt ihm (durch
die Mäßigung) eine ganze Liebe, die kein Unglück erschüttern kann (was
Sache der Tapferkeit ist), die einzig ihm gehorcht (das ist die Gerechtigkeit)
und die wachsam ist, um alle Dinge zu besehen aus Angst, man könnte
sich von List und Lüge überraschen lassen (und das ist Klugheit)"
(Augustinus, mor. eccl. 1,25,46).
Die Tugenden und die Gnade
1810 Die menschlichen Tugenden, die man durch Erziehung, durch bewußte
Taten und durch Ausdauer in Anstrengungen erlangt, werden durch die göttliche
Gnade geläutert und erhoben. Mit der Hilfe Gottes schmieden sie den Charakter
und geben Leichtigkeit im Tun des Guten. Der tugendhafte Mensch freut
sich am guten Tun.
1811 Für den durch die Sünde verwundeten Menschen ist es nicht leicht,
das sittliche Gleichgewicht zu bewahren. Das durch Christus geschenkte
Heil gibt uns die notwendige Gnade, im Streben nach Tugend auszuharren.
Jeder muß stets um diese Gnade des Lichtes und der Kraft bitten, in den
Sakramenten Hilfe suchen, mit dem Heiligen Geist mitwirken und dessen
Anruf folgen, das Gute zu lieben und sich vor dem Bösen zu hüten.
II. Die Göttlichen Tugenden
1812 Die menschlichen Tugenden wurzeln in den göttlichen Tugenden, welche
den menschlichen Fähigkeiten die Teilnahme an der göttlichen Natur ermöglichen
[Vgl. 2 Peir 1,4]. Denn die göttlichen Tugenden beziehen sich unmittelbar
auf Gott. Sie befähigen die Christen, in Verbindung mit der heiligsten
Dreifaltigkeit zu leben. Sie haben den einen, dreieinigen Gott zum Ursprung,
zum Beweggrund und zum Gegenstand.
1813 Die göttlichen Tugenden sind Grundlage, Seele und Kennzeichen des
sittlichen Handelns des Christen. Sie gestalten und beleben alle sittlichen
Tugenden. Sie werden von Gott in die Seele der Gläubigen eingegossen,
um sie fähig zu machen, als seine Kinder zu handeln und das ewige Leben
zu verdienen. Sie sind das Unterpfand dafür, daß der Heilige Geist in
den menschlichen Fähigkeiten wirkt und gegenwärtig ist. Es gibt drei göttliche
Tugenden: den Glauben, die Hoffnung und die Liebe [Vgl. 1 Kor 13,13].
Glaube
1814 Der Glaube ist jene göttliche Tugend, durch die wir an Gott und
an all das glauben, was er uns gesagt und geoffenbart hat und was die
heilige Kirche uns zu glauben vorlegt. Denn Gott ist die Wahrheit selbst.
Im Glauben „überantwortet sich der Mensch Gott als ganzer in Freiheit"
(DV 5). Darum ist der gläubige Mensch bestrebt, den Willen Gottes zu erkennen
und zu tun. „Der aus Glauben Gerechte wird leben" (Röm 1, 17). Der
lebendige Glaube ist „in der Liebe wirksam" (Gal 5,6).
1815 Das Geschenk des Glaubens bleibt in dem, der nicht gegen ihn sündigt
[Vgl. K. v. Trient: DS 1545]. Aber „der Glaube [ist] tot ohne Werke"
(Jak 2,26). Der Glaube ohne Hoffnung und Liebe vereint den Gläubigen nicht
voll mit Christus und macht ihn nicht zu einem lebendigen Glied seines
Leibes.
1816 Der Jünger Christi muß den Glauben bewahren und aus ihm leben, ihn
bekennen, mutig bezeugen und weitergeben: Alle müssen „bereit sein, Christus
vor den Menschen zu bekennen und ihm in den Verfolgungen, die der Kirche
nie fehlen, auf dem Weg des Kreuzes zu folgen" (LG 42 [Vgl. DH 14].
Der Dienst und das Zeugnis für den Glauben sind heilsnotwendig: „Wer sich
vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem
Vater im Himmel bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den
werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen" (Mt 10, 32-33).
Hoffnung
1817 Die Hoffnung ist jene göttliche Tugend, durch die wir uns nach dem
Himmelreich und dem ewigen Leben als unserem Glück sehnen, indem wir auf
die Verheißungen Christi vertrauen und uns nicht auf unsere Kräfte, sondern
auf die Gnadenhilfe des Heiligen Geistes verlassen. „Laßt uns an dem unwandelbaren
Bekenntnis der Hoffnung festhalten, denn er, der die Verheißung gegeben
hat, ist treu" (Hebr 10,23). Gott hat den Heiligen Geist „in reichem
Maß über uns ausgegossen durch Jesus Christus, unseren Retter, damit wir
durch seine Gnade gerecht gemacht werden und das ewige Leben erben, das
wir erhoffen" (Tit 3,6-7).
1818 Die Tugend der Hoffnung entspricht dem Verlangen nach Glück, das
Gott in das Herz jedes Menschen gelegt hat. Sie nimmt in sich die Hoffnungen
auf, die das Handeln der Menschen beseelen; sie läutert sie, um sie auf
das Himmelreich auszurichten; sie bewahrt vor Entmutigung, gibt Halt in
Verlassenheit; sie macht das Herz weit in der Erwartung der ewigen Seligkeit.
Der Schwung, den die Hoffnung verleiht, bewahrt vor Selbstsucht und führt
zum Glück der christlichen Liebe.
1819 Die christliche Hoffnung übernimmt und erfüllt die Hoffnung des
auserwählten Volkes, die ihren Ursprung und ihr Vorbild in der Hoffnung
Abrahams hat. Dieser wird durch die Erfüllung der Verheißungen Gottes
in Isaak überreich beschenkt und durch die Prüfung des Opfers geläutert
[Vgl. Gen 17,4-8; 22,1-18]. „Gegen alle Hoffnung hat er voll Hoffnung
geglaubt, daß er der Vater vieler Völker werde" (Röm 4,18).
1820 Die christliche Hoffnung wird gleich zu Beginn der Predigt Jesu
in den Seligpreisungen entfaltet. Die Seligpreisungen richten unsere Hoffnung
auf den Himmel als das neue verheißene Land; sie weisen den Weg durch
die Prüfungen, die auf die Jünger Jesu warten. Aber durch die Verdienste
Jesu Christi und seines Leidens bewahrt uns Gott in der Hoffnung; „die
Hoffnung aber läßt nicht zugrunde gehen" (Röm 5,5). „In ihr haben
wir einen sicheren und festen Anker der Seele", der dort hinreicht,
wohin „Jesus für uns als unser Vorläufer hineingegangen" ist (Hebr
6,19-20). Sie ist auch eine Waffe, die uns im Kampf um das Heil schützt:
Wir wollen „uns rüsten mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit
dem Helm der Hoffnung auf das Heil" (1 Thess 5,8). Sie verschafft
uns selbst in der Prüfung Freude: „Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig
in der Bedrängnis!" (Röm 12,12). Sie äußert und nährt sich im Gebet,
insbesondere im Vaterunser, der Zusammenfassung all dessen, was die Hoffnung
uns ersehnen läßt.
1821 Wir dürfen also die Herrlichkeit des Himmels erhoffen, die Gott
denen verheißen hat, die ihn lieben [Vgl. Röm 8,28-30] und seinen Willen
tun [Vgl. Mt 7,21]. In jeder Lage sollen wir hoffen, mit der Gnade Gottes
„bis zum Ende auszuharren" [Vgl. Mt 10,22; K. v. Trient: DS 1541]
und die Freude des Himmels zu erlangen: die von Gott geschenkte ewige
Vergel-. tung der guten Werke, die mit der Gnade Christi getan wurden.
Voller Hoffnung betet die Kirche, daß „alle Menschen gerettet werden"
(1 Tim 2,4). Sie sehnt sich danach, in der Herrlichkeit des Himmels mit
Christus, ihrem Bräutigam, vereint zu sein.
„Hoffe, meine Seele, hoffe! Du weißt nicht den Tag und die Stunde.
Wache aufmerksam. Alles geht rasch vorbei, obwohl deine Ungeduld das,
was sicher ist, zweifelhaft und eine recht kurze Zeit lang macht. Denk
daran: Je mehr du kämpfst, desto mehr wirst du deine Liebe zu Gott beweisen
und desto mehr wirst du dich eines Tages mit deinem Geliebten freuen
in einem Glück und einem Entzücken, die nie enden können" (Theresia
v. Jesus, excl. 15,3).
Liebe
1822 Die Liebe ist jene göttliche Tugend, kraft derer wir Gott um seiner
selbst willen über alles lieben und aus Liebe zu Gott unseren Nächsten
lieben wie uns selbst.
1823 Jesus macht die Liebe zum neuen Gebot [Vgl. Job 13,34]. Da er die
Seinen „bis zur Vollendung" liebt (Joh 13,1), offenbart er die Liebe,
die er vom Vater empfängt. Die Jünger ahmen durch die Liebe zueinander
die Liebe Jesu nach, die sie von ihm empfangen. Darum sagt Jesus: „Wie
mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner
Liebe!" (Joh 15,9). Und auch: „Das ist mein Gebot: Liebt einander,
so wie ich euch geliebt habe" (Joh 15,12).
1824 Als Frucht des Geistes und Vollendung des Gesetzes hält die Liebe
die Gebote Gottes und Christi. „Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine
Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben" (Joh 15, 9_10)
[Vgl. Mt 22,40; Röm 13, 8-10].
1825 Christus ist aus Liebe zu uns gestorben, als wir noch „Feinde"
waren (Röm 5,10). Der Herr verlangt von uns, nach seinem Beispiel unsere
Feinde zu lieben (Mt 5,44), uns dem Fernsten als Nächste zu erweisen [Vgl.
Lk 10, 27-37], die Kinder [Vgl. Mk 9,37] und die Armen [Vgl. Mt 25,40.45]
zu lieben.
Der hl. Apostel Paulus hat ein unvergleichliches Bild der Liebe entworfen:
„Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht,
sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig,
sucht nicht ihren Vorteil, läßt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das
Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut
sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält
allem stand" (1 Kor 13,4-7).
1826 Der Apostel sagt auch: Wenn ich alles hätte und könnte, „hätte aber
die Liebe nicht, wäre ich nichts"; und wenn ich alles, was Vorrecht,
Dienst und selbst Tugend ist, besäße, „hätte aber die Liebe nicht, nützte
es mir nichts" (1 Kor 13,1-4). Die Liebe steht über allen Tugenden.
Sie ist die erste der göttlichen Tugenden: „Es bleiben Glaube, Hoffnung,
Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe" (1
Kor 13,13).
1827 Die Übung aller Tugenden wird von der Liebe beseelt und angeregt.
Diese ist „das Band der Vollkommenheit" (Kol 3,14); sie ist die Form
der Tugenden; sie gliedert und ordnet diese untereinander; sie ist Ursprung
und Ziel des christlichen Tugendlebens. Die christliche Liebe sichert
und läutert unsere menschliche Liebeskraft. Sie erhebt sie zu übernatürlicher
Vollkommenheit, zur göttlichen Liebe.
1828 Das von der Liebe beseelte sittliche Leben gibt dem Christen die
Freiheit der Kinder Gottes. Er verhält sich vor Gott nicht mehr wie ein
Sklave, in knechtischer Furcht, und auch nicht wie ein Tagelöhner, der
entlohnt werden will, sondern wie ein Sohn, der auf die Liebe dessen antwortet,
der „uns zuerst geliebt hat" (1 Joh 4, 19).
„Entweder wenden wir uns vom Bösen ab aus Furcht vor Bestrafung, und
dann verhalten wir uns wie ein Sklave. Oder wir sind auf den Vorteil
der Belohnung bedacht und erfüllen die Gebote, weil daraus Vorteil entspringt;
dann gleichen wir den Tagelöhnern. Oder wir gehorchen um des Guten selbst
willen und aus Liebe zu dem, der uns das Gesetz gegeben hat ... dann
verhalten wir uns wie Söhne" (Basilius, reg. fus. prol. 3).
1829 Die Frucht der Liebe sind Freude, Friede und Barmherzigkeit; die
Liebe verlangt Wohltätigkeit und brüderliche Zurechtweisung; sie ist Wohlwollen;
sie will gegenseitig sein; sie bleibt uneigennützig und großzügig; sie
ist Freundschaft und Gemeinschaft.
„Die Vollendung all unserer Werke ist die Liebe. Das ist das Ziel,
um dessentwillen wir laufen, dem wir zueilen und in dem wir, wenn wir
es erreicht haben, ruhen werden" (Augustinus, ep. Jo. 10,4).
III. Die Gaben Und Früchte Des Heiligen
Geistes
1830 Das sittliche Leben der Christen wird unterstützt durch die Gaben
des Heiligen Geistes. Diese sind bleibende Anlagen, die den Menschen geneigt
machen, dem Antrieb des Heiligen Geistes zu folgen.
1831 Die sieben Gaben des Heiligen Geistes sind: Weisheit, Einsicht,
Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht. In ihrer ganzen
Fülle stehen sie Christus, dem Sohn Davids, zu [Vgl. Jes 11, 1-2]. Sie
vervollständigen und vervollkommnen die Tugenden derer, die sie empfangen.
Sie machen die Gläubigen bereit, den göttlichen Eingebungen willig zu
gehorchen.
„Dein guter Geist leite mich auf ebenem Pfad" (Ps 143,10).
„Alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Söhne Gottes ...
Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und sind
Miterben Christi" (Röm 8,14.17).
1832 Die Früchte des Geistes sind Vollkommenheiten, die der Heilige Geist
in uns als die Erstlingsfrüchte der ewigen Herrlichkeit hervorbringt.
Die Überlieferung der Kirche zählt deren zwölf auf: „Liebe, Freude, Friede,
Geduld, Freundlichkeit, Güte, Langmut, Sanftmut, Treue, Bescheidenheit,
Enthaltsamkeit, Keuschheit" (Gal 5,22-23 Vg.).
Kurztexte
1833 Die Tugend ist eine feste beständige Neigung das Gute zu tun.
1834 Die menschlichen Tugenden sind feste Neigungen des Verstandes und
des Willens die unsere Handlungen regeln unsere Leidenschaften ordnen
und unser Verhalten der Vernunft und dem Glauben entsprechend leiten Sie
lassen sich nach vier Kardinaltugenden ordnen Klugheit, Gerechtigkeit,
Tapferkeit und Mäßigung.
1835 Die Klugheit befähigt die praktische Vernunft in allen Umstanden
das wahre Gut zu erkennen und die rechten Mittel zu wählen um es auszuführen.
1836 Die Gerechtigkeit besteht im beständigen festen Willen Gott und
dem Nächsten das zu geben was ihnen zusteht.
1837 Die Tapferkeit laßt auch in Schwierigkeiten das Gute entschieden
und ausdauernd anstreben.
1838 Die Mäßigung zügelt die Neigung zu sinnlichem Vergnügen und laßt
im Gebrauch der geschaffenen Dinge das rechte Maß einhalten.
1839 Die sittlichen Tugenden wachsen durch Erziehung durch überlegte
Taten und ausdauernde Anstrengung. Die göttliche Gnade läutert und erhebt
sie.
1840 Die göttlichen Tugenden machen den Christen fähig in Verbindung
mit der heiligsten Dreifaltigkeit zu leben. Sie haben Gott zum Ursprung
zum Beweggrund und zum Gegenstand - Gott selbst der im Glauben erkannt,
erhofft und um seiner selbst willen geliebt wird.
1841 Es gibt drei göttliche Tugenden Glaube Hoffnung und Liebe‘ Sie gestalten
und beleben alle sittlichen Tugenden.
1842 Durch den Glauben glauben wir an Gott und glauben wir alles, was
er uns geoffenbart hat und was die heilige Kirche uns zu glauben vorlegt.
1843 Durch die Hoffnung ersehnen und erwarten wir von Gott in festem
Vertrauen daß ewige Leben und die Gnaden es zu verdienen.
1844 Durch die Liebe lieben wir Gott über alles und aus Liebe zu ihm
unseren Nächsten wie uns selbst. Sie ist „das Band der Vollkommenheit"
(Kol 3, 14) und die Form aller Tugenden.
1845 Die sieben Gaben des Heiligen Geistes die den Christen gewahrt werden
sind Weisheit Einsicht Rat Starke Erkenntnis Frömmigkeit und Gottesfurcht.
Artikel 8
Die Sünde
I. Die Barmherzigkeit Und Die Sünde
1846 Das Evangelium ist die in Jesus Christus ergangene Offenbarung,
daß Gott mit den Sündern Erbarmen hat [Vgl. Lk 15]. Der Engel sagt zu
Josef: „Ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von
seinen Sünden erlösen" (Mt 1,21). Und von der Eucharistie, dem Sakrament
der Erlösung, sagt Jesus: „Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das
für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden" (Mt 26,28).
1847 „Gott hat uns erschaffen ohne uns, er wollte uns aber nicht retten
ohne uns" (Augustinus, serm. 169,11,13). Um sein Erbarmen zu empfangen,
müssen wir unsere Verfehlungen bekennen:
„Wenn wir sagen, daß wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in
die Irre, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir unsere Sünden
bekennen, ist er treu und gerecht; er vergibt uns die Sünden und reinigt
uns von allem Unrecht" (1 Joh 1,8-9).
1848 Der hl. Paulus sagt: „Wo jedoch die Sünde mächtig wurde, da ist
die Gnade übergroß geworden". Um aber ihr Werk zu tun, muß die Gnade
die Sünde aufdecken, um unser Herz zu bekehren und uns „durch Gerechtigkeit
zum ewigen Leben durch Jesus Christus, unsern Herrn" (Röm 5,20-21)
zu führen. Wie ein Arzt die Wunde untersucht, bevor er sie verbindet,
so wirft Gott durch sein Wort und seinen Geist ein helles Licht auf die
Sünde.
„Umkehr erfordert, daß die Sünde ans Licht gebracht wird; sie enthält
ein inneres Gewissensurteil, und da dieses eine Prüfung durch das Wirken
des Geistes der Wahrheit im Herzen des Menschen ist, wird es zugleich
zum Beginn einer neuen Ausspendung von Gnade und Liebe: ‚Empfangt den
Heiligen Geist‘. Wir entdecken so in diesem ‚der Sünde Überführen‘ eine
doppelte Gabe: das Geschenk der Wahrheit des Gewissens und das Geschenk
der Gewißheit der Erlösung. Der Geist der Wahrheit ist auch der Tröster"
(DeV 31).
II. Das Wesen Der Sünde
1849 Die Sünde ist ein Verstoß gegen die Vernunft, die Wahrheit und das
rechte Gewissen; sie ist eine Verfehlung gegen die wahre Liebe zu Gott
und zum Nächsten aufgrund einer abartigen Anhänglichkeit an gewisse Güter.
Sie verletzt die Natur des Menschen und die menschliche Solidarität. Sie
wurde definiert als „ein Wort, eine Tat oder ein Begehren im Widerspruch
zum ewigen Gesetz" (Augustinus, Faust. 22, 27) [Vgl. Röm 1,28-32;
1 Kor 6,9-10; Eph 5,3-5; Kot 3,5-8; 1 Tim 1,9-10; 2Tim 3,2-5].
1850 Die Sünde ist eine Beleidigung Gottes: „Gegen dich allein habe ich
gesündigt, ich habe getan, was dir mißfällt" (Ps 51,6). Die Sünde
lehnt sich gegen die Liebe Gottes zu uns auf und wendet unsere Herzen
von ihm ab. Wie die Ursünde ist sie ein Ungehorsam, eine Auflehnung gegen
Gott durch den Willen, „wie Gott" zu werden und dadurch Gut und Böse
zu erkennen und zu bestimmen (Gen 3,5). Die Sünde ist somit „die bis zur
Verachtung Gottes gesteigerte Selbstliebe" (Augustinus, civ. 14,28).
Die Sünde ist wegen dieser stolzen Überheblichkeit dem Gehorsam Jesu [Vgl.
Phil 2,6-9], der das Heil wirkt, völlig entgegengesetzt.
1851 Gerade in der Passion, in der die Barmherzigkeit Christi die Sünde
überwindet, zeigt sich am besten, wie gewalttätig und vielgestaltig diese
ist: Unglaube, mörderischer Haß, Verstoßung und Verspottung durch die
Führer und das Volk, Feigheit des Pilatus und Grausamkeit der Soldaten,
der für Jesus so bittere Verrat des Judas, die Verleugnung durch Petrus
und die Flucht der Jünger. Doch gerade in der Stunde der Finsternis und
des Fürsten dieser Welt [Vgl. Joh 14,30] wird das Opfer Christi im Verborgenen
zur Quelle, aus der unerschöpflich die Vergebung unserer Sünden strömt.
III. Die Verschiedenheit Der Sünden
1852 Die Sünden sind vielfältig; die Schrift enthält mehrere Sündenregister.
Der Galaterbrief setzt dabei der Frucht des Geistes die Werke des Fleisches
entgegen: „Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar: Unzucht, Unsittlichkeit,
ausschweifendes Leben, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit,
Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid und Mißgunst,
Trink- und Eßgelage und ähnliches mehr. Ich wiederhole, was ich euch schon
früher gesagt habe: Wer so etwas tut, wird das Reich Gottes nicht erben"
(Gal 5, 19_21)1.
1853 Wie alle menschlichen Handlungen kann man die Sünden nach ihrem
Gegenstand unterscheiden oder nach den Tugenden, zu denen sie durch Übertreibung
oder Mangel im Gegensatz stehen, oder nach den Geboten, denen sie widersprechen.
Man kann sie auch in Sünden gegen Gott, gegen den Nächsten und gegen sich
selbst einteilen, in geistige und in fleischliche Sünden oder auch in
Sünden, die man in Gedanken, Worten und Werken oder durch Unterlassungen
begeht. Wie der Herr lehrt, liegt die Wurzel der Sünde im Herzen des Menschen,
in seinem freien Willen: „Aus dem Herzen kommen böse Gedanken, Mord, Ehebruch,
Unzucht, Diebstahl, falsche Zeugenaussagen und Verleumdungen. Das ist
es, was den Menschen unrein macht" (Mt 15,19). Im Herzen wohnt auch
die Liebe, die Ursprung der guten und reinen Werke ist. Diese wird durch
die Sünde verwundet.
IV. Die Schwere Der Sünde - Todsünde
Und Läßliche Sünde
1854 Die Sünden sind nach ihrer Schwere zu beurteilen. Die schon in der
Schrift erkennbare [Vgl. 1 Joh 6,16-17] Unterscheidung zwischen Todsünde
und läßlicher Sünde wurde von der Überlieferung der Kirche übernommen.
Die Erfahrung der Menschen bestätigt sie.
1855 Die Todsünde zerstört die Liebe im Herzen des Menschen durch einen
schweren Verstoß gegen das Gesetz Gottes. In ihr wendet sich der Mensch
von Gott, seinem letzten Ziel und seiner Seligkeit, ab und zieht ihm ein
minderes Gut vor.
Die läßliche Sünde läßt die Liebe bestehen, verstößt aber gegen sie und
verletzt sie.
1856 Da die Todsünde in uns das Lebensprinzip, die Liebe, angreift, erfordert
sie einen neuen Einsatz der Barmherzigkeit Gottes und eine Bekehrung des
Herzens, die normalerweise im Rahmen des Sakramentes der Versöhnung erfolgt.
„Wenn der Wille sich zu etwas entschließt, was der Liebe, durch die
der Mensch auf das letzte Ziel hingeordnet wird, in sich widerspricht,
ist diese Sünde von ihrem Objekt her tödlich ...‚ verstoße sie nun,
wie die Gotteslästerung, der Meineid und ähnliches gegen die Liebe zu
Gott oder, wie Mord, Ehebruch und ähnliches gegen die Liebe zum Nächsten
... Wenn hingegen der Wille des Sünders sich zu etwas entschließt, was
in sich eine gewisse Unordnung enthält, aber nicht gegen die Liebe zu
Gott und zum Nächsten gerichtet ist, wie z. B. ein müßiges Wort, übermäßiges
Lachen und anderes, so sind das läßliche Sünden" (Thomas v. A.,
s. th. 1-2, 88, 2).
1857 Damit eine Tat eine Todsünde ist, müssen gleichzeitig drei Bedingungen
erfüllt sein: „Eine Todsünde ist jene Sünde, die eine schwerwiegende Materie
zum Gegenstand hat und die dazu mit vollem Bewußtsein und bedachter Zustimmung
begangen wird" (RP 17).
1858 Was eine schwerwiegende Materie ist, wird durch die zehn Gebote
erläutert, entsprechend der Antwort Jesu an den reichen Jüngling: „Du
sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen,
du sollst nicht falsch aussagen ... ehre deinen Vater und deine Mutter"
(Mk 10,19). Sünden können mehr oder weniger schwer sein: ein Mord wiegt
schwerer als ein Diebstahl. Auch die Eigenschaft der Personen, gegen die
man sich verfehlt, ist zu berücksichtigen: eine Gewalttat gegen die Eltern
wiegt schwerer als die gegen einen Fremden.
1859 Eine Todsünde erfordert volle Erkenntnis und volle Zustimmung. Sie
setzt das Wissen um die Sündhaftigkeit einer Handlung, ihren Gegensatz
zum Gesetz Gottes, voraus. Die Todsünde schließt auch eine genügend überlegte
Zustimmung ein, um persönliche Willensentscheidung zu sein. Selbstverschuldete
Unwissenheit und Verhärtung des Herzens [Vgl. Mk 3,5-6; Lk 16,19-31] mindern
die Freiwilligkeit der Sünde nicht, sondern steigern sie.
1860 Unverschuldete Unkenntnis kann die Verantwortung für ein schweres
Vergehen vermindern, wenn nicht sogar aufheben. Aber von niemandem wird
angenommen, daß er die sittlichen Grundsätze nicht kennt, die in das Gewissen
jedes Menschen eingeschrieben sind. Auch Triebimpulse, Leidenschaften
sowie von außen ausgeübter Druck oder krankhafte Störungen können die
Freiheit und die Willentlichkeit eines Vergehens vermindern. Die Sünde
aus Bosheit, aus überlegter Entscheidung für das Böse wiegt am schwersten.
1861 Die Todsünde ist wie auch die Liebe eine radikale Möglichkeit, die
der Mensch in Freiheit wählen kann. Sie zieht den Verlust der göttlichen
Tugend der Liebe und der heiligmachenden Gnade, das heißt des Standes
der Gnade, nach sich. Wenn sie nicht durch Reue und göttliche Vergebung
wieder gutgemacht wird, verursacht sie den Ausschluß aus dem Reiche Christi
und den ewigen Tod in der Hölle, da es in der Macht unseres Willens steht,
endgültige und unwiderrufliche Entscheidungen zu treffen. Doch wenn wir
auch beurteilen können, daß eine Handlung in sich ein schweres Vergehen
darstellt, müssen wir das Urteil über die Menschen der Gerechtigkeit und
der Barmherzigkeit Gottes überlassen.
1862 Eine läßliche Sünde begeht, wer in einer nicht schwerwiegenden Materie
eine Vorschrift des Sittengesetzes verletzt oder das Sittengesetz zwar
in einer schwerwiegenden Materie, aber ohne volle Kenntnis oder volle
Zustimmung übertritt.
1863 Die läßliche Sünde schwächt die göttliche Tugend der Liebe; in ihr
verrät sich eine ungeordnete Neigung zu geschaffenen Gütern; sie verhindert,
daß die Seele in der Übung der Tugenden und im Tun des sittlich Guten
Fortschritte macht; sie zieht zeitliche Strafen nach sich. Falls die läßliche
Sünde mit Bedacht geschieht und nicht bereut wird, macht sie uns allmählich
bereit, Todsünden zu begehen. Die läßliche Sünde macht uns jedoch nicht
zu Gegnern des Willens Gottes und seiner Freundschaft; sie bricht den
Bund mit Gott nicht. Sie läßt sich mit der Gnade Gottes menschlich wiedergutmachen.
Sie „entzieht nicht die heiligmachende, vergöttlichende Gnade, die Liebe
und so auch nicht die ewige Seligkeit" (RP 17).
„Solange der Mensch im Fleisch wandelt, kann er wenigstens nicht ohne
leichte Sünden sein. Halte aber diese Sünden, die wir als leicht bezeichnen,
nicht für harmlos. Falls du sie für harmlos ansiehst, wenn du sie wägst,
zittere, wenn du sie zählst. Viele kleine Dinge bilden eine große Masse;
viele Tropfen füllen einen Fluß; viele Körner bilden einen Haufen. Welche
Hoffnung haben wir also? Zuerst das Bekenntnis" (Augustinus, ep.
Jo. 1,6).
1864 „Wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine
Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften" (Mk 3,29)
[Vgl. Mt 12,32; Lk 12,10]. Die Barmherzigkeit Gottes ist grenzenlos; wer
sich aber absichtlich weigert, durch Reue das Erbarmen Gottes anzunehmen,
weist die Vergebung seiner Sünden und das vom Heiligen Geist angebotene
Heil zurück [Vgl. DeV 46.]. Eine solche Verhärtung kann zur Unbußfertigkeit
bis zum Tod und zum ewigen Verderben führen.
V. Die Ausbreitung Der Sünde
1865 Die Sünde schafft einen Hang zur Sünde; Wiederholung der gleichen
bösen Taten erzeugt das Laster. Es kommt zu verkehrten Neigungen, die
das Gewissen verdunkeln und das konkrete Urteil über Gut und Böse beeinträchtigen.
Die Sünde neigt dazu, sich zu wiederholen und sich zu verstärken; sie
kann jedoch das sittliche Empfinden nicht völlig zerstören.
1866 Die Laster lassen sich nach den Tugenden ordnen, deren Gegensatz
sie sind, oder auch mit den Hauptsünden in Verbindung bringen, welche
die christliche Erfahrung in Anlehnung an den hl. Johannes Cassian und
den hl. Gregor d. Gr [Vgl. mor. 31,45] unterschieden hat. Als Hauptsünden
werden sie deshalb bezeichnet, weil sie weitere Sünden, weitere Laster
erzeugen. Hauptsünden sind: Stolz, Habsucht, Neid, Zorn, Unkeuschheit,
Unmäßigkeit, Trägheit oder Überdruß [acedia].
1867 Die katechetische Tradition erinnert auch daran, daß es himmelschreiende
Sünden gibt. Zum Himmel schreien das Blut Abels [Vgl. Gen 4,10], die Sünde
der Sodomiten [Vgl. Gen 18,20; 19,13], die laute Klage des in Ägypten
unterdrückten Volkes [Vgl. Ex 3.7-10], die Klage der Fremden, der Witwen
und Waisen [Vgl. Ex 22, 20-22] und der den Arbeitern vorenthaltene Lohn
[Vgl. Dtn 24,14-15; Jak 5,4].
1868 Die Sünde ist eine persönliche Handlung. Wir haben aber auch eine
Verantwortung für die Sünden anderer Menschen, wenn wir daran mitwirken,
- indem wir uns direkt und willentlich daran beteiligen,
- indem wir sie befehlen, zu ihnen raten, sie loben oder gutheißen,
- indem wir sie decken oder nicht verhindern, obwohl wir dazu verpflichtet
sind und
- indem wir Übeltäter schützen.
1869 So macht die Sünde die Menschen zu Komplizen und läßt unter ihnen
Gier, Gewalttat und Ungerechtigkeit herrschen. Die Sünden führen in der
Gesellschaft zu Situationen und Institutionen, die zur Güte Gottes im
Gegensatz stehen. „Sündige Strukturen" sind Ausdruck und Wirkung
persönlicher Sünden. Sie verleiten ihre Opfer dazu, ebenfalls Böses zu
begehen. In einem analogen Sinn stellen sie eine „soziale Sünde"
dar [Vgl. RP 16].
Kurztexte
1870 Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu
erbarmen" (Röm 11,32).
1871 Die Sünde ist ein Wort eine Tat oder ein Begehren im Widerspruch
zum ewigen Gesetz (Augustinus Faust 22 27) [ Zitiert bei Thomas v. A.,
s. th. 1-2,71,6, obj. 1: sc.] Sie ist eine Beleidigung Gottes Sie lehnt
sich gegen Gott auf in Ungehorsam der dem Gehorsam Christi entgegensteht.
1872 Die Sünde ist eine Handlung, die der Vernunft widerspricht. Sie
verwundet die Natur des Menschen und beeinträchtigt die menschliche Solidarität.
1873 Die Wurzel aller Sunden liegt im Herzen des Menschen Ihre Art und
ihre Schwere werden hauptsächlich nach ihrem Objekt bestimmt.
1874 Wer sich absichtlich das heißt mit Wissen und Willen zu etwas entscheidet
das dem göttlichen Gesetz und dein letzten Ziel des Menschen schwer widerspricht
begeht eine Todsünde. Diese zerstört in uns die göttliche Tugend der Liebe
ohne die es keine ewige Seligkeit geben kann Falls sie nicht bereut wird
zieht sie den ewigen Tod nach sich.
1875 Die läßliche Sunde stellt eine sittliche Unordnung dar welche durch
die göttliche Liebe die trotzdem in uns weiterbesteht wiedergutgemacht
werden kann.
1876 Die Wiederholung von Sunden auch von läßlichen fuhrt zu Lastern
unter anderen zu den sogenannten Hauptsunden.
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Katechismus der Katholischen Kirche Inhalt
Quelle: http://www.vatican.va/
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