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Das Fegefeuer: Achter Gesang
   

Inhalt: "Göttliche Komödie"


Vorfegefeuer. Schluß. Abend im Thal der Fürsten. Das Dreigestirn. Die Schlange. Malaspina.

Die Stunde war es, die zu stillem Weinen

Vor Heimweh den gerührten Schiffer zwingt,

Am Tag, da er verließ die teuren Seinen,

Die Liebesleid dem neuen Pilgram bringt,

Wenn fernher, klagend ob des Tags Erbleichen,

Der Abendglocken Trauerlied erklingt.

Jedweder Laut schien mit dem Licht zu weichen,

Und eine von den Seelen trat hervor

Und heischt Aufmerksamkeit mit einem Zeichen

Und naht und hob die beiden Händ empor,

Als sagte sie: Du, Gott, nur bist mein Trachten!

Indem ihr Blick im Osten sich verlor.

Te Lucis Ante—diese Worte brachten

Dann ihre Lippen vor. So fromm, so schön,

Daß sie mich meiner Selbst vergessen machten.

Mit andachtsvollem lieblichem Getön

Stimmt ein der Chor zu reicher Wohllauts Fülle,

Den Blick emporgewandt zu Himmelshöhn.

Die Wahrheit liegt hier unter leichter Hülle;

Ist, Leser, jetzt dein Blick nur scharf und klar,

So wirst du leicht erspähn, was sie verhülle.

Demütig, bleich, sah ich die edle Schar

Nach oben schaun, erwartungsvoll und schweigend,

Und sah aus himmlischem Gewölb ein Paar

Von Engeln durch die Luft herniedersteigend,

Zwei Flammenschwerter zwar in ihrer Hand,

Allein mit abgebrochnen Spitzen zeigend;

Grün wie das Laub, das eben erst entstand,

Und, von der grünen Flügel Wehn getrieben,

Nach hinten zu leicht flatternd das Gewand.

Der eine blieb nah über uns, und drüben,

Jenseit des Tales, blieb der andre stehn,

So, daß die Schatten in der Mitte blieben.

Ich konnte wohl die blonden Häupter sehn,

Doch am Gesicht verging mein Blick, geblendet,

Wie oft die Sinn am Übermaß vergehn.

"Dies Paar ist aus Marias Schoß gesendet,

Zur Hut des Tales, weil die Schlange naht."

So sprach Sordell, uns beiden zugewendet.

Und ich, der ich nicht wußt, auf welchem Pfad,

Ich schaut umher, indem ich starr vor Grauen

Fest an des treuen Führers Rücken trat.

Sordell begann aufs neu: "Geht mit Vertrauen

Jetzt zu den Großen hin und sprecht sie an,

Denn lieb wirds ihnen sein, euch hier zu schauen.

Ich war im Grund, wie ich drei Schritt getan,

Und nach mir forschend spähn sah ich den einen,

Als sah er ein bekanntes Antlitz nahn.

Schon schwärzte sich die Luft, doch zwischen seinen

Und meinen Blicken ließ sie, nah, was sich

Vorher durch sie verschlossen, klar erscheinen.

Nun ging ich auf ihn zu und er auf mich.

"Mein edler Richter Nin, o welch Vergnügen!

Hier—nicht bei den Verdammten—find ich dich!"

Kein schöner Gruß ward zwischen uns verschwiegen.

Und er: "Wann bist du aus dem weiten Meer

Am Fuße dieses Berges ausgestiegen?"

"Heut morgen kam ich aus der Hölle her",

Entgegnet ich, "und bin im ersten Leben,

Doch suche hier des künftigen Gewähr."

Und wie ich ihnen den Bescheid gegeben,

Da fuhr Sordell und er zurück, verstört,

Als halt ein Wunder plötzlich sich begeben,

Der dem Virgil, der einem zugekehrt,

Der dorten saß, am grünen Talgestade:

"Auf, Konrad, sieh, was uns der Herr beschert."

Und drauf zu mir: "Erwies besondre Gnade

Dir der, des erster Grund verborgen ruht,

Wohin kein Geist je findet Furt und Pfade,

So sag einst jenseits dieser weiten Flut

Meiner Johanna, daß sie für mich flehe,

Zu ihm, der nach dem Flehn der Unschuld tut.

Nicht liebt die Mutter wohl mich noch wie ehe,

Da sie den Witwenschleier abgelegt,

Nach dem sie bald sich sehnt in ihrem Wehe.

An ihr sieh, wie ein Weib zu lieben pflegt,

Wenn ihre Liebesglut nicht um die Wette

Jetzt Anschaun, jetzt Betastung, neu erregt.

Gewiß wird einstens ihre Grabesstätte

Von Mailands Schlange nicht so schön geschmückt,

Als sie geschmückt der Hahn Galluras hätte."

Er sprachs, und ihm im Antlitz ausgedrückt

War ein gerechter Eifer, der dem Weisen

Wohl durch das Herz, doch nur gemäßigt, zückt.

Ich blickte sehnlich nach des Himmels Kreisen

Dorthin, wo träger ist der Sterne Lauf,

So wie, der Achse nah, des Rades Kreisen.

Mein Führer sprach: "Was blickst du dort hinauf?"

Und ich: "Nach den drei Lichtern, denn mit ihnen

Geht ja am ganzen Pol ein Feuer auf."

Und er: "Die vier, die dir heut morgen schienen,

Sind tief jetzt unterm Horizont versteckt,

Und diese sind an ihrer Stell erschienen."

Hier ward ich durch den Ruf Sordells erschreckt:

"Den Widersacher seht!" Er sprachs und zeigte

Zur Gegend hin, den Finger ausgestreckt,

Wo sich das kleine Tal geöffnet neigte;

Dort war die Schlange, die wohl jener glich,

Die Even einst die bittre Speise reichte.

Wie sie daher durch Gras und Blumen strich,

Hob sie von Zeit zu Zeit den Kopf zum Rücken

Verdreht empor und leckt und putzte sich.

Nicht sah ich und vermags nicht auszudrücken,

Wie die zwei Engel sich bewegt zum Flug,

Doch deutlich sah ich sie herniederzücken.

Und wie ihr Flügelpaar die Lüfte schlug,

Entfloh die Schlang, und jene beiden flogen

Zu ihrem Platz zurück in gleichem Zug.

Der Schatten, der von Ninos Ruf bewogen

Sich uns genähert, hatte bei dem Strauß

Die Blicke nimmer von mir abgezogen.

"Die Leuchte, die dich führt zu Gottes Haus,

Sie find in deinem Willen und Verstande

Ihr Öl und gehe bis zum Ziel nicht aus."

So sprach er, "doch wenn von der Magra Strande

Du wahre Kunde hast, so gib sie mir,

Denn wiss, ich war einst groß in seinem Lande.

Corrado Malaspina spricht mit dir,

Der Alte bin ich nicht, doch ihm entsprungen;

Die Meinen liebt ich stets, doch reiner hier."

"Oh," sprach ich, "nimmer noch ist mirs gelungen,

Dies Land zu sehn, allein sein Nam und Wert

Ist, wo man in Europa sei, erklungen.

Der Ruf, der euer Haus erhebt und ehrt,

Schallt zu der Herrn, schallt zu des Landes Preise,

So daß, wer dort nicht war, davon erfährt.

Ich schwör es dir beim Ziele meiner Reise,

Daß dein Geschlecht in voller Blüte steht,

Des Muts, der Gastlichkeit, der edlen Weise.

Und wenn die Tollheit alle Welt verdreht,

Sitt und Natur wird ihm den Vorzug schenken,

Daß es allein den schlechten Weg verschmäht."

Und er: "Jetzt geh, nicht siebenmal versenken

Wird sich die Sonn im Bett an jenem Ort,

Den ringsumher des Widders Füß umschränken,

So wird dir diese gute Meinung dort

In deinem Kopfe festgenagelt werden,

Mit bessern Nägeln als mit andrer Wort,

Wird nicht des Schicksals Lauf gehemmt auf Erden."


Inhalt: "Göttliche Komödie"

Download: "Göttliche Komödie"

Quelle: http://www.gutenberg.org/cache/epub/8085/pg8085.txt

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