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Irland – die Insel der Heiligen und des Widerstands
   

Autor: Grzegorz Kucharczyk,
Liebt einander! 1/2010 → Geschichte



Irland wurde im 4. Jahrhundert durch den hl. Patrick missioniert. In den folgenden Jahrhunderten verdiente sich das Land den Namen „Insel der Heiligen“, denn von Irland aus machten sich Scharen von Missionaren auf den Weg, um die Frohe Botschaft in das benachbarte Britannien sowie die weiteren Regionen des ehemaligen römischen Imperiums wie das heutige Frankreich, Deutschland, die Schweiz und Italien zu bringen.

„Das irische Wunder“

Solche Gestalten wie der hl. Columban, der hl. Kilian oder der hl. Gallus sind Symbolfiguren für das missionarische Wirken der irischen Mönche (auch Iroschotten genannt), vor allem im 6. und 7. Jahrhundert. In dieser Zeit legten die Iroschotten durch die Christianisierung West-Europas, genauso wie die Schüler des hl. Benedikts, die Grundlagen für die christliche Völkergemeinschaft in Europa. Und ähnlich wie die Benediktiner bewahrten sie in ihren Klöstern dank ihrer Abschreiber das kostbarste Erbe der griechisch-römischen Zivilisation auf. Man kann sich die Entstehung der westlichen, d. h. christlichen Zivilisation ohne Irland nur schwer vorstellen. Dies war das wirkliche „irische Wunder“.

Im Hochmittelalter gab es in Irland keinen homogenen Staat. Die gesellschaftliche und politische Struktur lehnte sich an die Stammeskultur (die Klans) an. Dies eröffnete den Nachbarn Irlands – vor allem England - die Möglichkeit zur Expansion. Seit dem 12. Jahrhundert dauert die englische Eroberung der Grünen Insel in unterschiedlicher Intensität bis heute an. Es handelte sich bis zum Jahre 1534, als der englische König Henry die Einheit mit der Kirche brach, vor allem um einen politischen Konflikt. Seit dem 16. Jahrhundert nahm dieser Konflikt den Charakter eines Religionskrieges an, mit anderen Worten: Es handelte sich um eine rücksichtslose Eroberung Irlands durch die Mächte eines protestantischen Staates, welche in den eroberten Bereichen der Insel Gesetze einführten, die Katholiken offen diskriminierten (die sogenannten penel laws).

Irland blieb der Religion des hl. Patrick treu, doch der Preis für diese Treue sollte sich als sehr hoch erweisen. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde Irland einer Ausnahme-Gesetzgebung unterworfen, die Katholiken an den Rand des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens stellte. Mit dem Beginn der puritanischen Revolution in England im Jahre 1640 begann auch für Irland eine Zeit des blutigen Märtyrertums.

„Von barbarischen und blutrünstigen Iren“

Der Anführer der siegreichen Puritaner (der radikalsten Strömung der Protestanten), Oliver Cromwell, besiegelte seine unbestrittene Machtergreifung in England durch die Hinrichtung des englischen Königs Charles Stuart I. Im Jahre 1649 machte er sich auf, das „päpstliche Nest“, wie die Puritaner Irland nannten, zu erobern.

Cromwell landete mit seinen Truppen im August 1649 in Irland. Die Ankunft des englischen Heeres wurde von einer Proklamation begleitete, in der der Anführer der Puritaner verkündete, dass „so sicher wie Gott ihn bis hierher geführt habe, er auch nicht daran zweifelt, dass die Vorsehung allen die wahre Freiheit und das wahre Eigentum wiederbringen werde; dass all diejenigen, die sich im Grunde ihres Herzens danach sehnen, das große Werk gegen die barbarischen und blutrünstigen Iren mitsamt ihren Anhängern und Konföderierten zu beginnen und das Evangelium Christi und den Frieden zu verkünden (…), solch eine Ausstattung und solch einen Lohn erhalten werden, wie es ihren Verdiensten entspricht.“

Wie sich die protestantische Armee „die Verkündigung des Evangeliums und des Friedens“ vorstellte, zeigte das Schicksal der irischen Stadt Drogheda, einer strategisch wichtigen Festung auf dem Weg nach Ulster. Nach der Eroberung der Stadt durch die Soldaten Cromwells überließ man diese für zwei Tage der Gnade der siegreichen Puritaner. Man ermordete in dieser Zeit selbst die Soldaten, die sich früher aufs Ehrenwort dem puritanischen Anführer ergeben hatten. 24 Iren, die die Stadt verteidigt hatten und Zuflucht in der Kirche des hl. Petrus suchten, wurden bei lebendigem Leibe verbrannt. Man tötete alle, Soldaten wie Zivilpersonen, Frauen und Kinder. Den Anführer der Verteidigung, Colonel Arthur Aston (der im Jahre 1621 gegen die Türken gekämpft hatte), erschlugen die Puritaner mit seiner eigenen Holzprothese … Die Überlebenden schickte man als Sklaven in die englischen Kolonien in der Karibik (vor allem nach Barbados).

Drogheda war ein Symbol für die Politik, die die Puritaner in Irland einführten. Diese Politik war sowohl durch physischen Terror als auch durch die großflächig durchgeführten, ethnischen (religiösen) Säuberungen gekennzeichnet. Auf der Grundlage des im Jahre 1652 durch das englische Parlament verabschiedeten Besiedelungsbeschlusses führte man eine systematische Kolonisation Irlands durch Protestanten ein. Kolonisation bedeutete, dass man die bisherigen katholischen Grundbesitzer mit Gewalt enteignete. In den neuen Verhältnissen konnten sie höchstens Pächter bei den neu aus England ankommenden, protestantischen Siedlern sein. Noch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts waren die Iren im Besitz von 2/3 des sich auf der Insel befindlichen Ackerlandes. In Folge der Kolonisationspolitik Cromwells (oder besser gesagt seiner Konfiszierungs-Politik) gelangte die Mehrzahl dieses Areals in die Hände der neuen, protestantischen Besitzer. 690 000 Tausend katholische Iren, also 81% der Einwohner Irlands, besaßen zu Beginn der 60 er Jahre des 17. Jahrhunderts nur noch 31% des Grundbesitzes, 160 000 Engländer, die nach Irland gekommen waren, konnten dagegen schon 69% des Grundbesitzes ihr Eigen nennen.

Protestantische Apartheid in Irland

Der nächste Abschnitt des irischen Martyrologiums begann mit dem Jahr 1688. In Folge einer durch die Protestanten vorbereiteten Verschwörung verlor König Jakob Stuart II. den Thron. Seine „Schuld“ bestand darin, dass er katholisch war. Er fand Zuflucht in Irland, welches daraufhin eine erneute militärische Invasion erlebte. Diesmal war Wilhelm von Oranien der Anführer, der von den protestantischen Verschwörern zum neuen König Englands erwählt worden war.

Die Niederlage der Katholiken beim Kampf am Fluss Boyne (bis heute feiern protestantische Extremisten die Erinnerung daran durch provokative Aufmärsche in den katholischen Stadtvierteln Nordirlands) bedeutete nicht nur das endgültige Aus für die Herrschaft Jakobs II., sondern eröffnete für die Katholiken eine fast 100 Jahre lang dauernde Zeit der faktischen Apartheid, die von der protestantischen Minderheit beschlossen und durchgeführt wurde.

Zuerst beschäftigte man sich mit den katholischen Geistlichen und vertrieb alle katholischen Bischöfe und Mönche. Eine Wiederkehr wurde mit dem Tode bestraft. Bis zum Jahre 1709 hatten die protestantischen Machthaber den Verbleib von katholischen Priestern auf der Insel erlaubt. Doch in diesem Jahr beschloss man, dass jeder Priester, der sich auf der Insel aufhielt, einen bestimmten Eid abzulegen habe (Es ging darum, dass man sich von allen „päpstlichen Fehlern“ lossagte; an erster Stelle von dem Glauben an die Realpräsenz Christi in den konsekrierten Gestalten von Brot und Wein). Selbstverständlich konnte kein katholischer Priester solch einen Eid leisten und dies bedeutete nichts anderes, als dass er unter Androhung der Todesstrafe Irland sofort verlassen musste.

Die katholische Geistlichkeit durfte, ebenfalls unter Androhung der Todesstrafe, keine Bildungsinstitutionen auf der Insel leiten und sich nicht im Ausland bilden. Die Geistlichen durften die ihnen vermachten Erbschaften nicht antreten und katholische Kirchen durften keine Türme, Glocken oder Kreuze an sichtbaren Stellen haben.

Die Apartheidspolitik traf aber vor allem die katholischen Laien. In neuen Rechtsakten, die durch das britische Parlament in den folgenden Jahrzehnten nach 1691 verabschiedet wurden, beschloss man unter anderem, dass alle katholischen Einwohner Irlands keinen Zutritt zu Ämtern im Parlament, in der Verwaltung, der Gerichtsbarkeit und vielen anderen Berufen erhalten dürften. Von Gesetzes wegen durften Katholiken also keine juristischen Berufe ergreifen, sie durften auch keine Lehrer sein und katholische Frauen konnten nicht einmal Erzieherinnen sein. Das Verbot der Schaffung von katholischen Bildungsinstitutionen und das Verbot, solche Bildungsinstitutionen im Ausland aufzusuchen, streckte sich auch auf die katholischen Laien aus.

Ein deutliches Kennzeichen der Apartheid war das Verbot, eine Ehe mit einem Protestanten oder einer Protestantin einzugehen. Falls ein katholischer Priester solch eine Heirat erteilte, drohte ihm die Todesstrafe.

Auf der Grundlage der penel laws, die im Jahre 1691 in Irland eingeführt worden waren, durften Katholiken keine größeren Städte bewohnen. Sie durften keine Waffen bei sich führen und die Reitpferde, auf denen sie reisten, durften nicht mehr als 5 Pfund gekostet haben. Unter Androhung einer Geldstrafe durften sie ihre Verstorbenen nicht auf Friedhöfen neben Kirchen oder Klöstern beerdigen, die Teil der schon lange zerstörten Institution des klösterlichen Lebens waren.

Auch Wallfahrten zu Orten der Verehrung der Muttergottes oder der örtlichen Heiligen waren verboten. Jeder katholische Arbeiter, der einen kirchlichen Feiertag begehen wollte, sollte ausgepeitscht werden. Dieselbe Strafe drohte, wenn man das Wallfahrtsverbot brach.

Wie erreicht man den Effekt der „katholischen Rückständigkeit“?

Ein charakteristisches Merkmal der vom protestantischen England erzwungenen antikatholischen Gesetzgebung gegenüber Irland war ihre wirtschaftliche Seite. Die im 18. Jahrhundert in Irland geltenden penel laws sahen vor, dass ein Katholik weder Grundbesitz kaufen noch pachten durfte. Das Gesetz verpflichtete einen katholischen Grundbesitzer dazu, seinen Besitz zu gleichen Teilen auf alle seine Kinder aufzuteilen. Man sollte hier anmerken, dass zur gleichen Zeit für die Protestanten das Majorats-Prinzip galt, d.h. der ganze Besitz ging ungeteilt auf einen (den ältesten) Erben über. Die oben erwähnten Gesetze führten also zur künstlichen Zersplitterung des katholischen Grundbesitzes. Das wiederum führte dazu, dass die katholischen Grundbesitzer sich wirtschaftlich gegen die großen protestantischen, durch das Majorat geschützten Besitztümer auf Dauer nicht mehr behaupten konnten.

Man sollte hier noch hinzufügen, dass die antikatholische Gesetzgebung nicht nur wegen der offensichtlichen Ungerechtigkeit unmoralisch war, sondern vor allem deshalb, weil sie zu unmoralischen Taten anstiftete. Man förderte Denunzianten, denn für Hinweise und das Auffinden von versteckten, katholischen Priestern bekam man von der Regierung Geld (So kam es, dass sich im 18. Jahrhundert eine Gruppe von Menschen bildete, die priest-hunters genannt wurden, und die das angebotene Geld anlockte). Ein Geldgewinn erwartete auch jeden Priester, der sich dazu entschlossen hatte, den „päpstlichen Aberglauben“ aufzugeben.

Die offizielle englische Geschichtsschreibung des 18. und 19 Jahrhunderts warf den Iren „bdquo;Rückständigkeit“, materielle Armut und Bildungslücken vor. Man erklärte dies mit dem „schlechten Einfluss des Katholizismus“ und wollte nicht wahrhaben, dass die wahre Ursache für diese Zustände in der ein Jahrhundert lang dauernden Politik der Diskriminierung der katholischen Inselbewohner lag, denen man jede Chance auf Bildung und wirtschaftlichen Gewinn genommen hatte. Auf diese Art und Weise wurde diese diskriminierende Politik zur Ursache und Grundlage für viele antikatholische Vorurteile und Ängste.

Gleichberechtigung

Die Politik der antikatholischen Apartheid zerfiel in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts. In dieser Zeit hatten die Briten immer größere Probleme mit ihren Kolonien in Nord-Amerika. Diese Schwierigkeiten führten im Jahre 1776 zum Krieg um die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika. Die schrittweise vor sich gehende Demontage der penel laws in Irland durch die britische Regierung ist deshalb in diesem Zusammenhang zu sehen. Dahinter verbarg sich keine urplötzlich ausgebrochene Liebe zu den Katholiken, sondern ein rein politisches Kalkül: London wollte keinen neuen Aufstand am „eigenen Gartenzaun“ haben.

Im Jahre 1778 erlaubte man irischen Katholiken, Grundbesitz zu pachten und die katholischen Grundbesitzer durften ihren Besitz ungeteilt vererben (So schuf man die Möglichkeit zur Konsolidierung des Grundbesitzes, der sich in katholischen Händen befand). Im Jahre 1782 erlaubte man den irischen Katholiken, eigene Schulen zu eröffnen, nachdem sie diesbezüglich eine Erlaubnis des anglikanischen Ortsbischofs erhalten haben, und ließ auch wieder katholische Geistliche, darunter Bischöfe, auf die Insel. Im selben Jahr erlaubte man den Katholiken, dieselben Pferde wie die Protestanten zu besitzen (d.h. ohne die oben erwähnte Preisbeschränkung) und katholische Frauen durften auch wieder als Erzieherinnen arbeiten.

Der Ausbruch der Französischen Revolution im Jahre 1789 und die Angst davor, Frankreich könnte in den Iren Verbündete zum Kampf finden, bewegte die britische Regierung zu weiteren Zugeständnissen. Im Jahre 1792 erlaubte man deshalb Mischehen zwischen Katholiken und Protestanten, irische Katholiken durften Rechtsanwälte werden und Schulen konnten sogar ohne Einverständnis des anglikanischen Ortsbischofs eröffnet werden. Ein Jahr später wurden Katholiken auch zu Parlaments- und Ortswahlen zugelassen. Derselbe Catholic Relief Bill aus dem Jahre 1793 erlaubte den irischen Katholiken die Ausübung der Richter-, Polizei- und Ortsgewalt und eröffnete ihnen auch die Möglichkeit zur Erlangung militärischer Dienstgrade bei der Armee und den Seestreitkräften. Sie durften auch wieder Waffen besitzen.

Im Jahre 1829 verabschiedete das britische Parlament die vollständige politische Emanzipation der Katholiken auf den britischen Inseln. Diese Emanzipation wurde auch in Irland geltend gemacht, obzwar mit einigen bedeutenden Ausnahmen. Den Jesuiten wurde weiterhin untersagt, Irland aufzusuchen und die übrigen Orden durften keine Erbschaften antreten, die ihnen testamentarisch vermacht worden waren. Man erhielt auch die hohen Geldstrafen für Priester aufrecht, die außerhalb der Kirche im Talar angetroffen wurden. Auch die beiden höchsten Stellen der britischen Administration auf der Grünen Insel durften nicht von Katholiken bekleidet werden. Es handelte sich dabei um die Stelle des Vize-Königs und des Lord-Kanzlers.

G. Kucharczyk

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Veröffentlicht mit Zustimmung des "Liebt einander!" im Dezember 2015.



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